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BuchZeichen

German, Literature, 1 season, 71 episodes, 1 day, 6 hours, 32 minutes
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«BuchZeichen» macht Lust aufs Lesen, ist Rettungsring im Büchermeer und bietet gute und intelligente Unterhaltung. «Buchzeichen» stellt Autoren und Büchermenschen vor, erzählt Geschichten aus und über Bücher oder gräbt Perlen aus: Vom Bestseller über die Sportlerbiographie, vom Reisebericht bis zum Klassiker hat alles Platz.
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Vielfältiger Lesestoff

In «Die Entflammten» von Simone Meier geht es um die Erfolgsstory von Vincent van Gogh. In «Der Fluss und das Meer» von Natascha Wodin um das Gefühl von Fremdsein im eigenen Leben. Und in «Nicht ich» von Zeruya Shalev um eine junge Frau, die radikal aufräumt mit Rollen- und Geschlechterklischees. Vincent van Gogh ist weltberühmt. Ohne seine Schwägerin Jo van Gogh-Bonger würden man den Maler wahrscheinlich gar nicht kennen. Über diese Frau, schreibt eine junge Frau ihren ersten Roman, statt sich an ihre Abschlussarbeit in Kunstgeschichte ans Werk zu machen. In «Die Entflammten» verbindet Kulturjournalistin und Schriftstellerin Simone Meier zwei Frauen unterschiedlicher Generationen. Es ist ihr eine Mischung aus Roman und Doku-Fiktion gelungen, die äusserst unterhaltsam ist. Natascha Wodin zählt spätestens seit ihrem Erfolgsroman «Sie kam aus Mariupol» von 2017 zu den bekannten deutschen Autorinnen. Ihr aktuelles Buch ist eine Sammlung von fünf längeren Erzählungen, die gemäss Felix Münger direkt ins Herz gehen und Leserinnen und Leser durch ihre literarische Kraft in Bann ziehen. Wie in anderen Büchern drehen sich die Geschichten des Erzählbandes um Figuren, die seelische Verletzungen in sich tragen. Es geht um das Los einer ehemaligen Nachbarin, die völlig verwahrlost. Oder um die Geschichte der eigenen Mutter, die Suizid begangen hat. Oder um eine verlorene Gestalt in der geschlossenen Psychiatrie. Natascha Wodin rührt mit kristallklarer Sprache ans Innerste. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Erstlingsroman «Nicht ich» von der israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev vor. Das Buch erschien vor dreissig Jahren und nun zum ersten Mal auf Deutsch. Es ist die radikale Innenansicht einer jungen, wütenden Frau. Sie will weder treue Ehefrau noch aufopfernde Mutter sein. Sie will ein selbstbestimmtes Leben. Buchhinweise: * Simone Meier. Die Entflammten. 272 Seiten. Kein & Aber, 2024. * Natascha Wodin. Der Fluss und das Meer. Erzählungen. 192 Seiten. Rowohlt, 2023. * Zeruya Shalev. Nicht ich. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. 208 Seiten. Berlin Verlag, 2024.
1/30/202426 minutes, 47 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Von Empathie und Einsamkeit

Beide Bücher auf dem heutigen Literaturstammtisch kommen aus Österreich. Monika Helfer erzählt in «Die Jungfrau» von einer intensiven Frauenfreundschaft und vom Umgang mit der Einsamkeit. David Fuchs stellt in seinem aktuellen Buch «Zwischen Mauern» die Frage, ob es bedingungslose Empathie gibt. Zwei Jugendfreundinnen begegnen sich nach einem halben Jahrhundert wieder. Gloria und Monika. Die eine hat Familie und Erfolg als Schriftstellerin, die andere lebt einsam in ihrer riesigen Villa. Monika beschliesst, über Gloria zu schreiben. Das Resultat ist ein schonungsloses, aber liebevolles Portrait einer Frauenfreundschaft – von den sechziger Jahren bis heute. Lea-Dora Illmer stellt Monika Helfers neues Buch «Die Jungfrau» vor. Im Roman «Zwischen Mauern» ist Meta auf der Suche nach Sinn. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin verschlägt es sie in ein Pflegeheim, das kaputtgespart wurde und vor der Schliessung steht. Meta wird dort Nachtwache halten – und zwar am Bett eines sterbenden Mannes, der zu schreien beginnt, sobald es dunkel wird. Als Meta mehr von der Geschichte dieses Mannes erfährt, steht sie vor der Frage: Verdienen auch böse Menschen in ihren letzten Tagen liebevolle Zuwendung? Katja Schönherr bringt das Buch an den Literaturstammtisch. Im heutigen Kurztipp empfiehlt Britta Spichiger den neuen Roman der US-Autorin Jeannette Walls, «Vom Himmel die Sterne». Walls erzählt darin die fiktive Geschichte von Sally Kincaid. Eine unerschrockene, starke Frau, die in den 1920-er Jahren erkennt, dass ihre Familie nur überlebt, wenn sie mit illegal selbstgebranntem Whisky handelt. Und so stellt sie – allen gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz – ihre eigenen Regeln auf und wird zur «Königin der Kincaid-Schmuggler». Buchhinweise: * David Fuchs. Zwischen Mauern. 223 Seiten. Haymon, 2023. * Monika Helfer. Die Jungfrau. 152 Seiten. Carl Hanser, 2023. * Jeannette Walls. Vom Himmel die Sterne. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. 448 Seiten. Hoffmann und Campe, 2023.
1/23/202423 minutes, 54 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Murakami, Tesson, Stermann

«Die Stadt und ihre ungewisse Mauern» von Haruki Murakami, «Weiss» von Sylvain Tesson und «Mir geht es gut, wenn nicht heute, dann morgen» von Dirk Stermann – dies die drei aktuellen Bücher am SRF1 Literaturstammtisch. Haruki Murakamis neuer Roman «Die Stadt und ihre ungewisse Mauern» spielt in zwei Welten: in einer geheimnisvoll-magischen sowie in einer realen Kleinstadt. In der magischen Welt ist vieles anders als in der realen. Die Menschen haben keine Schatten, die Uhren keine Zeiger, und immer wieder trifft man auf Einhörner, die sterben, wenn es schneit. Ein namenloser Erzähler folgt seiner Jugendliebe an diesen merkwürdigen Ort, um später wieder in die reale Welt zurückzukommen. Jennifer Khakshouri, die das Buch auch für den Literaturclub gelesen hat, lobt Murakamis Sprache, zieht sonst aber eine durchzogene Bilanz. Der französische Reiseschriftsteller Sylvain Tesson hat für sein Nature Writing schon bedeutende Preise erhalten, u.a. den Prix Renaudot für «Der Schneeleopard». In seinem neuen Reisebericht «Weiss» schildert Sylvain Tesson die Geschichte einer Alpenüberquerung von Menton nach Triest, über Italien, die Schweiz, Österreich und Slowenien. Eine 1.600 Kilometer lange Expedition zwischen Himmel und Erde. Und ein Buch wie eine Meditation, findet Annette König. Der Buchtipp der Woche schliesslich stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt den Roman über die österreichisch-amerikanische Psychoanalytikerin Erika Freeman «Mir gehts gut, wenn nicht heute, dann morgen» des Schriftstellers und Fernsehkomikers (Willkommen Österreich) Dirk Stermann. Buchhinweise: * Haruki Murakami. Die Stadt und ihre ungewisse Mauer. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. 640 Seiten. Dumont, 2024. * Sylvain Tesson. Weiss. Aus dem Französischen von Nicola Denis. 256 Seiten. Rowohlt, 2023. * Dirk Stermann. Mir geht es gut, wenn nicht heute, dann morgen. 255 Seiten. Rowohlt, 2023.
1/16/202421 minutes, 26 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Wenn das Leben schwer wiegt

Tijan Sila erzählt von seinen Kriegserinnerungen in Sarajevo, die ihn als Kind geprägt haben. David Bielmann schildert wie seine Grossmutter von ihrer Familie weggenommen wurde. Und Cho Nam-Joo berichtet über eine junge Südkoreanerin, die unter starren gesellschaftlichen Konventionen heranwächst. Der deutsche Autor Tijan Sila wurde 1981 in Sarajevo geboren. Als er 11 Jahre alt war, erlebte er, wie seine Stadt während des Bosnienkriegs eingekesselt wurde. Drei Jahrzehnte später erinnert er sich in seinem autobiografischen Werk «Radio Sarajevo» an das Grauen der Blockade, die knapp vier Jahre dauerte. Für Felix Münger überzeugt das Buch durch seine «radikale Subjektivität»: Tijan Sila schildert durch die Augen des damaligen Kindes, was der permanente Beschuss, der Hunger, die Kälte und die Allgegenwart des Todes in der eingeschlossenen Stadt bedeutete – und dass er damals aufhörte zu weinen. Der Freiburger Autor David Bielmann erzählt im historischen Roman «Angelina. Verlorene Familie» die Geschichte seiner Grossmutter und ihrer Vorfahren und damit ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte. Bielmanns Grossmutter, Angelina, war eines der über 600 Opfer des Hilfswerks «Kinder der Landstrasse» von Pro Juventute (1926-1973): Sie wurde von ihrer als «Vaganten» verrufenen Familie in Graubünden weggenommen und erlebte in der Folge eine schlimme Odyssee durch Kinderheime und Besserungsanstalten. In eindrücklichen Schlaglichtern schildert Bielmann die Geschichte einer Familie, die von Staat und Gesellschaft immer wieder zutiefst unmenschlich behandelt wurde. Das hat André Perler beeindruckt. Er bringt das Buch an den Literaturstammtisch mit. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah» von Cho Nam-Joo vor. Die Südkoreanerin wurde im deutschsprachigen Raum mit ihrem Weltbestseller «Kim Jiyoung, geboren 1982» bekannt. In ihrem neuen Roman erzählt sie von einem Frauenleben in Südkorea, das geprägt ist von Armut und der Scham, mit 30 noch unverheiratet zu sein. Buchhinweise: * Tijan Sila. Radio Sarajevo. 175 Seiten. Hanser Berlin, 2023. * David Bielmann. Angelina. Verlorene Familie. 242 Seiten. Zytglogge, 2023. * Cho Nam-Joo. Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah. Aus dem Koreanischen von Jan Henrik Dirks. 288 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024.
1/9/202427 minutes, 44 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Neues Glück in der Fremde?

Seit 15 Jahren erzählen Auslandschweizerinnen und -schweizer in der Rubrik «Die fünfte Schweiz» am Sonntagvormittag auf SRF 1 aus ihrem Alltag. Aus diesem Anlass liegen auf dem Literaturstammtisch Bücher über Auswandererschicksale - Werke von Therese Bichsel, Pedro Lenz und Gabrielle Alioth. 1821 wanderten rund 170 Menschen aus Bern und Neuenburg nach Kanada in die Gegend des heutigen Winnipeg aus. Ein verschuldeter Berner Patrizier hatte sie mit grossen Versprechungen angeworben. Doch statt eines besseren Lebens erwartete sie am Roten Fluss bittere Not. Diese wahre Geschichte erzählt die Schweizer Autorin Therese Bichsel in ihrem Roman «Überleben am Red River». Franziska Hirsbrunner gefällt unter anderem der Reichtum an packenden Details, mit dem das Werk aufwartet. Der Schweizer Pedro Lenz hat mit «I bi meh aus eine» im Berner Dialekt die wundersame, aber wahre Geschichte des Hochstaplers Peter Wingeier aus dem Emmental aufgeschrieben. Der Schweizer wanderte im 19. Jahrhundert nach Argentinien aus, nahm eine falsche Identität als Arzt an und gründete sein eigenes Dorf «Romang». Wingeier sei zwar nicht sympathisch, findet Markus Gasser. Doch Pedro Lenz zeichne seine Figur dennoch als «liebe Siech» - und erweise sich dadurch einmal mehr als «unverbesserlicher Menschenfreund». Dass die Schweiz lange Zeit ein Auswanderungsland war, geht gerne vergessen. Die Schweizer Autorin Gabrielle Alioth, die selbst seit 1984 in Irland lebt, erzählt in ihrem Sachbuch «Ausgewandert» Geschichten von Menschen aus sieben Jahrhunderten, welche die Schweiz verliessen und im Ausland das Glück suchten. Felix Münger ist beeindruckt von der Unterschiedlichkeit der Schicksale: Die einen trieb die Leidenschaft in die Fremde, andere die pure wirtschaftliche Not. Und dann gab es Menschen, die glaubten, in der Fremde das Paradies zu finden. Buchhinweise: * Gabrielle Alioth. Ausgewandert. Schweizer Auswanderer aus 7 Jahrhunderten. 193 Seiten. Faro, 2014. * Therese Bichsel. Überleben am Red River, 361 Seiten. Zytglogge, 2018. * Pedro Lenz. I bi meh aus eine. 75 Seiten. Cosmos, 2013.
1/2/202427 minutes, 10 seconds
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Aktuelle Buchempfehlungen: Prosaische Passionen - Kleine Probleme

Kurz vor Silvester liegen auf dem Literaturstammtisch zwei Bücher, die gute Begleiter sind für die Zeit zwischen den Jahren: eine inspirierende Geschichtensammlung von Autorinnen aus aller Welt und ein amüsanter Roman über «Aufschieberitis». Hundertundeine Geschichte von hundertundeiner Frau. Das bietet der Sammelband «Prosaische Passionen» des Manesse-Verlags, herausgegeben von Sandra Kegel. Darin wird zum ersten Mal die ganze weibliche Seite der klassischen Moderne präsentiert. Neben Stars wie Katherine Mansfield oder Virginia Woolf sind auch viele neu- und wiederzuentdeckende grossartige Autorinnen aus der ganzen Welt vertreten. Ein enorm wichtiges Werk auch für die Literatur selbst, die nun endlich in einer ihrer innovativsten Phasen eine weibliche Seite bekommt, findet Michael Luisier. Er richtet diese Anthologie gerade für den Vorlesetag am 2. Januar 2024 auf SRF2 Kultur ein. 31. Dezember. Lars, ein 49-jähriger Grübler, will bis zum Jahreswechsel noch allerhand schaffen: Steuererklärung, Wohnung putzen, das neue Bett für die Tochter zusammenschrauben, die Regenrinne leeren, den Vater anrufen und, ja, das eigene Lebenswerk schreiben Natürlich ist dieses Unterfangen aussichtslos. Aber Lars lesend dabei zuzuschauen, wie er versucht, in wenigen Stunden doch noch alles hinzukriegen – das ist hochamüsant. Literaturredaktorin Katja Schönherr ist begeistert von Nele Pollatscheks Buch «Kleine Probleme». Unterhaltung mit Tiefgang! Im heutigen Kurztipp stellt Britta Spichiger die Graphic Novel «Sofies Welt» vor. Mit dem gleichnamigen Titel landete der norwegische Autor Jostein Gaarder vor 30 Jahren einen Weltbestseller. Die beiden Illustratoren Vincent Zabus und Nicoby haben die Geschichte nun in die Gegenwart geführt: aus der braven Sofie von einst, die die grossen Philosoph:innen trifft, ist eine kritische geworden, die mit grossen Denker:innen Themen wie Rassismus, Feminismus oder Klimawandel diskutiert. Eine moderne, gelungene, humorvolle und engagierte Version des Originals – empfehlenswert zum Austausch zwischen den Generationen. Buchangaben Sandra Kegel (Hrsg.). Prosaische Passionen. Die weibliche Moderne in 101 Short Storys. 928 Seiten. Manesse 2022. Nele Pollatschek. Kleine Probleme. 208 Seiten. Galiani Berlin 2023. Nicoby und Vincent Zabus, nach einem Roman vo Jostein Gaarder. Sofies Welt. Übersetzt von Ina Kronenberger, Hanser 2023.
12/26/202325 minutes, 8 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Für unter den Weihnachtsbaum

Die Dänin Stine Pilgaard erzählt beglückend von vier Generationen, die unter einem Dach leben. Der Deutsche Deniz Utlu begibt sich in seinem neuen Roman auf eine liebevolle Vatersuche. Und der Mexikaner Jorge Zepeda Patterson schreibt über die Tour de France, die eine düstere Wendung nimmt. Ein Genossenschaftshaus in Aarhus, vier Generationen unter einem Dach. Dort bezieht eine junge Frau, die Lieder dichtet und Horoskope schreibt, mit ihrem Partner die erste gemeinsame Wohnung. Allmählich öffnet die Nachbarschaft der Neuzugezogenen ihre Türen. Die Menschen erzählen ihr ihre (Liebes)Leben. «Lieder aller Lebenslagen» von Stine Pilgaard ist ein beglückendes Buch. Fast wie ein Adventskalender findet Lea Dora Illmer. Sie empfiehlt das Buch am Literaturstammtisch. «Vaters Meer» erzählt aus der Sicht von Yunus, der in Hannover als Sohn türkischstämmiger Eltern aufwuchs. Eine Spurensuche nach seinem Vater, der nach zwei Schlaganfällen und anschliessender Lähmung in Yunus Jugend verstorben ist. Ein beeindruckendes Buch über Herkunft und das Erzählen, findet Simon Leuthold. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Thriller «Das Schwarze Trikot» vom Mexikaner Jorge Zepeda Patterson vor. Darin geht es um die Tour de France und einen Mörder, der die Radfahrprofis auf Touren bringt. Buchhinweise: * Stine Pilgaard. Lieder aller Lebenslagen. Aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer. 208 Seiten. Kanon, 2023. * Deniz Utlu. Vaters Meer. 384 Seiten. Suhrkamp, 2023. * Jorge Zepeda Patterson. Das Schwarze Trikot. 416 Seiten. Aus dem Spanischen von Carsten Regling. Elster, 2023.
12/19/202325 minutes, 5 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Bernhard Schlink und René Maran

Auf dem Literaturstammtisch liegen heute Bücher, die sich mit existentiellen Fragen befassen: Wie reagiert man auf eine schlechte Diagnose? Welche Auswirkungen hat Rassismus auf die Psyche? Die beiden Autoren Bernhard Schlink und René Maran suchen Antworten. Martin, 76, erfährt, dass er nur noch ein halbes Jahr zu leben hat. Diagnose: Bauchspeichelkrebs. Was kann er in dieser Zeit noch tun? Was kann er seinem sechs Jahre alten Sohn hinterlassen? Erinnerungen, Werte, Lebenseinsichten? Martin wird aktiv. Er lässt sich nicht vom bevorstehenden Tod unterkriegen und entdeckt, dass auch das späte Leben für ihn wunderbare Momente bereithält. «Das späte Leben» von Bernhard Schlink sei eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Leben und Tod, findet Annette König. Der 1960 in Paris verstorbene französische Autor René Maran ist bei uns weitgehend vergessen. Und dies, obwohl er der erste Schwarze war, der in den Zwanzigerjahren den höchsten Literaturpreis Frankreichs erhielt, den Prix Goncourt. Jetzt ist zum ersten Mal Marans Roman «Ein Mensch wie jeder andere» auf Deutsch erschienen. Das Buch vereine sprachliche Schönheit mit thematischer Relevanz: Es zeige die Auswirkungen des Rassismus bis in die Psyche, sagt Felix Münger. Im Kurztipp empfiehlt Britta Spichiger den Kurzkrimi «Der Schwimmer» des irischen Autors Graham Norton: Die 72-jährige Helen Beamish beobachtet von ihrem Meeresgarten an der irischen Küste aus einen Schwimmer, der nicht zurückkehrt. Sie stellt Nachforschungen an – und alles stellt sich als ganz anders heraus, als es scheint. Ein klassischer, gut geschriebener Krimi, der liebevoll auch von allzu Menschlichem erzählt. Buchhinweise * Bernhard Schlink. Das späte Leben. 240 Seiten, Diogenes, 2023. * René Maran. Ein Mensch wie jeder andere. Aus dem Französischen von Claudia Marquardt, 208 Seiten. Elster & Salis, 2023. * Graham Norton. Der Schwimmer. Ais dem Englischen von Silke Jellinghaus. 112 Seiten. Kindler, 2023.
12/12/202327 minutes, 48 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Dezembertipps

Aktuelles zur Vorweihnachtszeit: Der Roman «Taormina» von Yves Ravey, der Thriller «Prophet» von Helen Macdonald und Sin Blaché und die tragikomische Weihnachtsgeschichte «Weihnachten in Prag» von Jaroslaw Rudiš und Jaromír99 diese Woche am BuchZeichen-Literaturstammtisch. Der Franzose Yves Ravey legt mit seinem Roman «Taormina» eine Parabel auf die moderne Welt vor: Das Buch schildert ein Ehepaar in der Krise, das im sizilianischen Ferienort Taormina Ruhe und Erholung sucht. Daraus wird allerdings nichts: Das Paar überfährt in der Dunkelheit ein Migrantenkind und begeht Fahrerflucht. Die beiden werden nun ihrerseits zu Geflüchteten. Für Felix Münger ist das Verhalten des Paars ein Sinnbild für den Umgang Europas mit der globalen Migration und der ihr innenwohnenden menschlichen Tragik. Wie gefährlich ist Nostalgie? Diese Frage stellt der Science-Fiction Thriller «Prophet». Helen Macdonald und Sin Blaché haben ihn gemeinsam während des Corona-Lockdowns geschrieben. Als im ländlichen England kurz nacheinander ein amerikanisches Diner ohne Stromanschluss und eine Leiche auftauchen, werden zwei eigentümliche Geheimagenten herbeigezogen. Ein Page-Turner mit genauso geistreichen wie witzigen Dialogen, findet Lea Dora Illmer. Der Buchtipp der Woche stammt diesmal von Michael Luisier. Er empfiehlt die Weihnachtsgeschichte «Weihnachten in Prag» von Jaroslav Rudiš und Jaromír99, in der ein Kavka mit «V», ein König von Prag und eine Stella aus Milano mit einem Erzähler zusammen von Kneipe zu Kneipe ziehen. Natürlich vor dem Hintergrund eines wunderschönen, romantisch-verschneiten Prag. Buchhinweise: * Yves Revey. Taormina. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. 112 Seiten. liebeskind, 2023. * Helen Macdonald und Sin Blaché. Prophet. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. 528 Seiten. Hanser, 2023. * Jaroslav Rudiš. Weihnachten in Prag. 96 Seiten mit Illustrationen von Jaromír99. Luchterhand, 2023.
12/5/202325 minutes, 6 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Erschütterungen

Drei Bücher stehen am Stammtisch zur Debatte: Philippe Djians erster Klimaroman «Ein heisser Sommer», die wiederentdeckten «Novemberschwestern» von Josephine W. Johnson über die Not zur Zeit der Wirtschaftskrise und Klaus Merz Buch «Noch Licht im Haus», das ebenso irritiert wie verzaubert. Philippe Djian gilt seit seinem Roman «Betty Blue» aus dem Jahr 1985 als Kultautor. Doch seither hat sich der Franzose in Stil und Themenwahl weiterentwickelt. Sein neues Buch «Ein heisses Jahr» ist sein erster Klimaroman überhaupt. Doch trotzt Schwerpunkt auf Ökologie bleibe Djian auch jetzt seinem Leitmotiv treu, sagt Annette König: Erneut sei die oft schwierige Beziehung zwischen Mann und Frau ein Thema. «Ein heisses Jahr» spielt im Jahr 2030. Die globale Klimaerwärmung hat sich intensiviert. Greg arbeitet in einer Firma, die Pestizide herstellt. Doch die Firma gerät in Verdacht, Berichte zu fälschen und Greg ist beteiligt daran. Doch dann verliebt sich Greg in die Umweltaktivistin Vera, was alles verändert. Der Roman «Die Novemberschwestern» der 1990 verstorbenen US-Amerikanerin Josephine W. Johnson schildert drei Schwestern auf einer einsamen Farm in den USA. Wegen der Wirtschaftskrise kämpft die Familie ums Überleben. Dann zieht ein junger Mann ein, der die rigiden Verhältnisse aufbricht. Für ihr Debüt «Die Novemberschwestern» gewann Josephine W. Johnson 1935 gerade mal 24jährig den renommierten Pulitzer-Preis. Die packende Wiederentdeckung sei in vielem aktuell, sagt Franziska Hirsbrunner, zum Beispiel in der der Frage nach der Ausbeutung von Mensch und Natur. Der Schweizer Dichter Klaus Merz hat seine Ankündigung zu seinem 70. Geburtstag nicht wahrgemacht, nämlich aufhören zu schreiben. Zum Glück, findet Felix Münger. Klaus Merz neuster Band «Noch Licht im Haus» mit Lyrik und kurzen Prosatexten biete literarischen Zauber pur: Hochgradig verdichtet und voller poetischer Kraft beschwört Klaus Merz das Schöne im Augenblick, Erinnerungen oder Sehnsuchtsträume. Buchhinweise: * Philippe Djian. Ein heisses Jahr. Aus dem Französischen von Norma Cassau. 240 Seiten. Diogenes, 2023. * Josephine W. Johnson. Die Novemberschwestern. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. 222 Seiten. Aufbau, 2023. * Klaus Merz. Noch Licht im Haus. Gedichte und kurze Geschichten. 105 Seiten. Haymon, 2023.
11/28/202327 minutes, 47 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Überleben

Lauren Groff erzählt vom Überlebenskampf eines Waisenmädchens in der Wildnis. Elena Fischer schildert die Trauer eines Mädchens, das über den Tod der Mutter hinwegzukommen versucht. Und Atsuhiro Yoshida beschreibt, was der Mensch zum Überleben braucht: Liebe, Gemeinschaft und Anteilnahme. Die US-amerikanische Schriftstellerin Lauren Groff hat mehrere Romane und Kurzgeschichten geschrieben und hatte damit immer grossen Erfolg. Zu ihren prominentesten Fans gehört Barack Obama. Lauren Groffs neuster Roman «Die weite Wildnis» gilt als Meisterwerk. Darin beschreibt die Autorin den Überlebenskampf einer jungen Frau im Wald an der Ostküste der USA, im 17. Jahrhundert. Ein «Robinson Crusoe» aus weiblicher Perspektive? Diese Frage stellt sich Jennifer Khakshouri, die das Buch am Stammtisch empfiehlt. Mit ihrem Debütroman «Paradise Garden» landete die 36-jährige Deutsche Elena Fischer einen Coup: beste Kritiken rundherum, Nominierung für den Deutschen Buchpreis. Tatsächlich sei die Coming-of-Age-Geschichte herzzerreissend und herzergreifend, findet Felix Münger. Im Zentrum steht die 14-jährige Billie, die mit ihrer Mutter in einer Hochhaussiedlung lebt, in prekären Verhältnissen. Als die Mutter stirbt beginnt die Teenagerin ihren tabuisierten Vater zu suchen – und begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Im heutigen Kurz-Tipp stellt Annette König den Episodenroman «Gute Nacht, Tokio» von Atsuhiro Yoshida vor. Tokio, nachts um eins. Eine Filmrequisiteurin, eine Telefonseelsorgerin, ein Privatdetektiv, eine angehende Schauspielerin, ein Barkeeper sind noch wach. Was sie alle verbindet: ihre nächtlichen Fahrten mit dem hilfsbereiten Taxifahrer Matsui. Ein Buch voller warmer Menschlichkeit. Buchhinweise: * Lauren Groff. Die weite Wildnis. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. 288 Seiten. Claassen, 2023. * Elena Fischer. Paradise Garden. 352 Seiten. Diogenes, 2023. * Atsuhiro Yoshida. Gute Nacht, Tokio. Aus dem Japanischen von Katja Busson. 191 Seiten. hanserblau, 2023.
11/21/202327 minutes, 12 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Shortlist Schweizer Buchpreis 2023

Eine Autorin und vier Autoren sind dieses Jahr auf der Shortlist vertreten. Die nominierten Bücher befassen sich mit unterschiedlichen Themen: von existentiellen über gesellschaftliche und historische bis zu persönlichen Fragen. Wie verlässlich ist das, was wir wahrnehmen? Der renommierte Schweizer Schriftsteller Christian Haller stellt diese Frage in das Zentrum seiner Novelle «Sich lichtende Nebel». In seiner ruhigen, präzisen und gleichzeitig eindringlichen Sprache erzählt Haller die Geschichte zweier Männer, deren Leben sich durch einen Zufall kreuzen. In seinem Roman «Mr. Goebbels Jazz Band» rückt Demian Lienhard eine Band in den Fokus, die es tatsächlich gegeben hat: auf Geheiss des NS-Propagandaministers Goebbels unterhielt sie die Menschen mit Swing – und englischsprachigen, pro-deutschen Propagandatexten. Es sei ein Lehrstück, wie Propaganda funktioniere, sagt Lienhard zum historischen Stoff. Sarah Elena Müller erzählt in ihrem Roman «Bild ohne Mädchen» von sexuellem Kindsmissbrauch. Ein Mädchen besucht seinen Nachbarn regelmässig, er filmt sie, die Eltern schauen weg. Was sie an dieser erschütternden Geschichte besonders interessiere, sagt Müller, sei die Frage der Verantwortung. «Glitsch» - der Buchtitel spielt auf Fehler in einem Computerspiel an: wenn die virtuelle Wirklichkeit verzerrt ist. In seinem Roman nun führt Adam Schwarz diese Idee weiter und erzählt von einer Kreuzfahrt, die in einer verschobenen Wirklichkeit stattfindet. Mit einer Gesellschaft, die sich weigert, sich der Realität zu stellen. Matthias Zschokke widmet seinen Roman «Der graue Peter» einem alternden Mann der Schweizer Mittelschicht. Nach Schicksalsschlägen taumelt er durch sein Leben – da wird ihm in einem Zug in Frankreich überraschend ein unbekannter kleiner Junge anvertraut. Skurrile Begebenheiten folgen, und der Eigenbrötler zeigt wider Erwarten Empathie. Katja Schönherr und Lea-Dora Illmer aus der SRF-Literaturredaktion stellen die fünf nominierten Bücher im Gespräch mit Britta Spichiger vor. Buchhinweise: * Christian Haller. Sich lichtende Nebel. 128 Seiten. Luchterhand, 2023. * Demian Lienhard. Mr. Goebbels Jazz Band. 320 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt, 2023. * Sarah Elena Müller. Bild ohne Mädchen. 208 Seiten. Limmat, 2023. * Adam Schwarz. Glitsch. 296 Seiten. Zytglogge, 2023. * Matthias Zschokke. Der graue Peter. 176 Seiten. Rotpunktverlag, 2023.
11/14/202329 minutes, 21 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Grosse Namen

Der Literaturstar Paul Auster als Autor des Romans «Baumgartner» und der Jahrhundertschriftsteller Joseph Roth als Protagonist in Lea Singers «Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe» sind nur zwei der grossen Namen, die im aktuellen BuchZeichen eine Rolle spielen. Er war einer der ganz grossen deutschsprachigen Schriftsteller seiner Zeit, geboren in einer jüdischen Kleinstadt am Rand des Habsburgerreichs. Sie entstammte einer gutbürgerlichen Hamburger Familie, hatte afrokubanische Wurzeln und brachte sich und ihre Kinder als alleinerziehende Mutter mit Grafik- und Redaktionsarbeiten über die Runden. Joseph Roth und Andrea Manga Bell waren von 1929-1936 ein Paar. Nach der Machtergreifung der Nazis waren sie beide akut gefährdet. Die deutsche Schriftstellerin Lea Singer erzählt im Roman «Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe» ihre Liebesgeschichte so, dass sich ganz viele Bezüge zur Gegenwart ergeben. «Baumgartner», so heisst der neue Roman des Literatur-Stars Paul Auster. Und so heisst zugleich die Hauptfigur des Buchs. Seymour Baumgartner ist alternder Philosophie-Professor. Vor einigen Jahren hat er seine Frau verloren. Seither trauert er um sie. Nach einem Morgen voller Pannen beginnt er, sein Leben Revue passieren zu lassen. Über dem Roman schwebt die Frage: Was bleibt von einem, wenn man gestorben ist? Literaturredaktorin Katja Schönherr ist froh, dass es Paul Auster trotz seiner Krebserkrankung gelungen ist, dieses Buch fertigzustellen.  Auch im Buchtipp geht es um einen grossen Namen: Anlässlich des Erscheinens des «neuen» Beatles-Songs «Now and Then» empfiehlt Michael Luisier die bisher letzte bedeutende Beatles-Biografie: «One Two Three Four» von Craig Brown. Buchhinweise * Lea Singer. Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe. 304 Seiten. Kampa Verlag, 2023. * Paul Auster. Baumgartner. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. 208 Seiten. Rowohlt, 2023. * Craig Brown. One. Two. Three. Four. Die fabelhaften Jahre der Beatles. Aus dem Englischen von Conny Lösch. 670 Seiten mit 55 Abbildungen. C.H. Beck, 2022.
11/7/202323 minutes, 57 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Milena Moser und Philipp Oehmke

Milena Mosers neuer Roman «Der Traum vom Fliegen» erzählt unter anderem von der Kraft von Freundschaft. Philipp Oehmkes Debüt ist eine Familiengeschichte nach US-amerikanischem Vorbild. Im Roman «Der Traum vom Fliegen» wird Sofia, 20, Studentin, von ihren Vätern in die Privatklinik Los Pajaritos an der Nordwestküste der USA gebracht. Dort soll ihr Übergewicht behandelt werden. Während der Pandemie hat Sofia mehr als 30 Kilo zugenommen. Auch leidet sie unter Müdigkeit und ist vergesslich. Doch was ihre Väter nicht wissen: Sofias Gewichtszunahme ist Kalkül. Sie will nicht wieder die Bodenhaftung verlieren, weil ihr Traum vom Fliegen zu «real» geworden ist. In den täglichen Gruppentherapien trifft sie auf andere Klinikgäste, die ihre Strategie durchschauen. Gegenseitig helfen sie einander, um wieder Fuss im Leben zu fassen. In «Schönwald», dem Debütroman des deutschen Journalisten Philipp Oehmke, muss sich die wohlsituierte Familie Schönwald ihrer Vergangenheit stellen: Plötzlich der Vorwurf, ihr Wohlstand komme hauptsächlich von Grossvater Schönwald, und der sei ein alter Nazi gewesen. Für Schönwalds, die es nicht gewohnt sind, über ihre Probleme zu sprechen, eine Katastrophe. In der Folge bricht bei allen Familienmitgliedern noch sehr viel Anderes hervor, das sie bisher sorgsam vor ihren Verwandten verheimlicht haben. Ein abgründiger deutscher Familienroman nach US-amerikanischem Vorbild, der einen beim Lesen immer tiefer ins Familiengestrüpp hineinzieht. Grossartige Passagen über Schönheit und Brutalität der Natur. Das zeichnet den Roman «So weit der Fluss uns trägt» vor allem aus. In ihrem Debüt erzählt die US-Amerikanerin Shelley Read von einem jungen Mädchen, das schwanger wird und in die Einsamkeit der Berge flüchten muss. Die Natur ist in diesem Roman also fast wie eine Figur – und gleichzeitig Schauplatz für die Geschichte einer starken Frau, die mutig ihren Weg geht. Zu einer Zeit, in der Mitte des letzten Jahrhunderts, als das alles andere als selbstverständlich ist. Buchhinweise: * Milena Moser. Der Traum vom Fliegen. 384 Seiten. Kein & Aber, 2023. * Philipp Oehmke. Schönwald. 544 Seiten. Piper, 2023. * Shelley Read. So weit der Fluss uns trägt. Aus dem Amerikanischen von Wibke Kuhn. 368 Seiten. C. Bertelsmann, 2023.
10/31/202327 minutes, 18 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Neues aus der Schweiz

Mit Gianna Molinaris «Hinter der Hecke die Welt» und Theres Roth-Hunkelers «Damenprogramm» sind zwei aktuelle Romane aus der Schweiz Thema am BuchZeichen-Literaturstammtisch. Dabei geht es um zwei unterschiedliche, doch gleichermassen existenzielle Themen. Die Arktis, in der das Eis schmilzt, und ein abgelegenes Dorf, in dem nichts mehr wächst ausser der Hecke drumherum. Das sind die beiden Schauplätze im aktuellen Roman der Schweizer Autorin Gianna Molinari. «Hinter der Hecke die Welt» heisst er und handelt unter anderem vom menschlichen Eingreifen in die Natur. Für SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr ein Buch, das wehmütig stimmt. Theres Roth-Hunkelers jüngster Roman «Damenprogramm» erzählt unbeschönigt davon, als Frau alt zu werden. Natürlich geht es dabei um Verluste: Der Körper verändert sich, Ehepartner sterben, Beziehungen scheitern. Aber allem voran ist es ein ermutigendes Buch über die eine Liebe, die alles überdauert: zwischen zwei besten Freundinnen. Ein Buch wie ein Vorbild, findet Literaturredaktorin Lea Dora Illmer. Der aktuelle Buchtipp dieser Woche kommt von Michael Luisier. Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie am Wochenende in Frankfurt erinnert er an dessen Roman "Victory City". Buchhinweise: * Gianna Molinari. Hinter der Hecke die Welt. 200 Seiten. Aufbau, 2023. * Theres Roth-Hunkeler. Damenprogramm. 256 Seiten. Edition Bücherlese, 2023. * Salman Rushdie. Vicotory City. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 414 Seiten. Penguin, 2023. 
10/24/202322 minutes, 18 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Was Freiheit bedeutet

In «Lichtspiel» von Daniel Kehlmann geht es um die Grenzen der Kunst während des Zweiten Weltkrieg. In «Als die Welt entstand» von Drago Jancar um Totalitarismus im ehemaligen Jugoslawien. Und in «Hund 51» von Laurent Gaudé um eine dystopische Welt, in der die Menschen nicht mehr frei sind. In seinem neuen Roman «Lichtspiel» beschäftigt sich der deutsch-österreichische Autor Daniel Kehlmann erneut mit einem historischen Stoff. Es geht um den österreichischen Filmemacher Georg Wilhelm Pabst, einem der grössten und erfolgreichsten Regisseure in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. Damals war Pabst so wichtig wie Fritz Lang («Metropolis») oder Friedrich Wilhelm Murnau («Nosferatu»). Und er war der Entdecker von späteren Superstars wie Greta Garbo und Louise Brooks. Aber dann traf er verschiedene falsche Entscheidungen und wurde zu einer Geisel der Nazis. Er musste fortan Filme für sie drehen. Franziska Hirsbrunner bringt diesen facettenreichen Roman mit an den Literaturstammtisch. Im aktuellen Roman «Als die Welt entstand» des slowenischen Autors Drago Jancar wächst ein Knabe inmitten gesellschaftlicher und menschlicher Verwerfungen auf – und findet Rettung in der Fantasie. Felix Münger überzeugt die Kunst des Autors, ganz Unterschiedliches zusammenzubringen. Der Roman bietet ein Zeitgemälde der jugoslawischen Gesellschaft zu Beginn der 1960er Jahre: Die traumatische Erfahrung des Zweiten Weltkriegs wirft ihre dunklen Schatten. Das Buch ist aber auch ein in eine Kriminalgeschichte verpackter Coming-of-Age-Roman, der zudem grundsätzliche Fragen nach dem Wesen des Menschen aufwirft. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Bestseller «Hund 51» vom französischen Schriftsteller Laurent Gaudé vor. Es ist ein rasanter Science-Fiction-Thriller mit Aktualitätsbezug. Darin wird der Staatsbankrot von Griechenland weitergedacht und die Folgen der Klimaveränderung in eine dystopische Zukunft gelegt. Buchhinweise: * Daniel Kehlmann. Lichtspiel. 480 Seiten. Rowohlt, 2023. * Drago Jancar. Als die Welt entstand. Aus dem Slowenischen von Erwin Köstler. Zsolnay, 2023. * Laurent Gaudé. Hund 51. 336 Seiten. Aus dem Französischen von Christian Kolb. dtv, 2023.
10/17/202331 minutes, 9 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Necati Öziri und Julie Otsuka

«Vatermal» von Necati Öziri, eines der aufregendsten Bücher der Saison und zurecht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und «Solange wir schwimmen» von Julie Otsuka sind Thema am Literaturstammtisch im BuchZeichen. Der Student Arda liegt mit Organversagen im Spital einer deutschen Kleinstadt. In einem Abschiedsbrief wendet er sich an seinen Vater, den er nicht kennt. Der Vater ist zurück in die Türkei gegangen, als Arda noch ganz klein war. In diesem Brief beschreibt Arda ihm nun sein Aufwachsen inmitten von Demütigung und Gewalt. «Vatermal» ist eines der besten Bücher dieses Herbsts, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Ein intensives Leseerlebnis, wie man es nur selten habe. Hundesitter, Professorinnen, arbeitslose Schauspieler – eine zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, die die Liebe zum Schwimmen eint. Was im Hallenbad unter der Erde beginnt, entwickelt sich im Laufe des Romans zu einer feinfühligen Annäherung einer Tochter an ihre demenzkranke Mutter. «Solange wir schwimmen» von Julie Otsuka ist ein verblüffendes Buch mit tröstlichem Humor, findet Lea Dora Illmer. Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt «Des Reimes willen Henk». Der Roman stammt von Ralf Schlatter und ist in Versform verfasst. Buchangaben: * Necati Öziri. Vatermal. 304 Seiten. Claassen, 2023. * Julie Otsuka. Solange wir schwimmen. Aus dem amerikanischen Englisch von Katja Scholtz. 160 Seiten. Mare, 2023. * Ralf Schlatter. Des Reimes willen Henk. 128 Seiten. Limbus Verlag, 2023.
10/10/202321 minutes, 46 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Über die eigene Jugend schreiben

Peter Probst erzählt wie sein Alter Ego 18 Jahre alt und noch immer von seinen Eltern verhindert wird. Wilfried Meichtry schildert wie es sich anfühlt im geistig engen Wallis der 1970er Jahre heranzuwachsen. Und Annie Ernaux beschreibt die prekären Verhältnisse in ihrem Elternhaus in der Normandie. Mit «Ich habe Schleyer nicht entführt» fügt Peter Probst seiner autobiografischen Romanserie über sein Alter Ego Peter Gillitzer einen dritten Band hinzu. Peter Gillitzer schliesst sich einer anarchistischen Gruppe an und unternimmt erste Schritte in Richtung Erfüllung seines Traums, Schriftsteller zu werden. Vor allem aber geht sein drei Bände dauernder Konflikt mit seinem dominanten Vater in die entscheidende Phase, denn Peter Gillitzer wird volljährig. Ein liebevoll und witzig erzählte Geschichte über eine Jugend unter mehr als speziellen Bedingungen, meint Michael Luisier. Wilfried Meichtry ist besonders für seine historischen Romane bekannt. Nun hat der Schweizer Schriftsteller einen Roman entlang seiner eigenen Biografie geschrieben. «Nach oben sinken» erzählt von der Identitätsfindung eines Teenagers. Im Wallis der 70er-Jahre herrscht eine unerträgliche katholische Enge. Ein verträumter Jugendlicher versucht auszubrechen – und wühlt dabei Familiengeheimnisse auf. Am Familiengrab stösst er auf eine Inschrift, die sich auf einen rätselhaften Grossonkel bezieht, über den in der Familie nicht gesprochen wird. Doch das Schweigen, das er auf seine Nachfragen erfährt, übertrifft alles, was er bisher erlebt hat. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König «Die leeren Schränke» von Annie Ernaux vor. Es ist der erste Roman der französischen Literatur-Nobelpreisträgerin, den sie vor mehr als fünfzig Jahren geschrieben hat. Auch dieses Buch ist autofiktional und kreist um Ernauxs Lebensthemen wie Herkunft und weibliche Selbstbestimmung. Doch im Schreibverfahren unterscheidet es sich von Ernauxs späteren Büchern. Buchhinweise: * Peter Probst. Ich habe Schleyer nicht entführt. 350 Seiten. Kunstmann, 2023. * Wilfried Meichtry. Nach oben sinken. 256 Seiten. Nagel&Kimche, 2023. * Annie Ernaux. Die leeren Schränke. Aus dem Französischen von Sonja Finck. 218 Seiten. Suhrkamp, 2023.
10/3/202329 minutes, 4 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Hilary Mantel und F.-H. Désérable

In ihrem Buch «Sprechen lernen» geht die britische Schriftstellerin Hilary Mantel auf Spurensuche ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Der französische Schriftsteller François-Henri Désérable erzählt in seinem Roman von einer Amour fou. Hilary Mantels autofiktionale Erzählungen sind im Original schon vor zwanzig Jahren erschienen – jetzt kann sie auch das deutsche Publikum lesen. Mantel nimmt uns mit ins England der Fünfziger- und Sechzigerjahre, an Schauplätze, an denen prägende Erinnerungen entstanden sind. «Sprechen lernen» ist für Franziska Hirsbrunner ein Lieblingsbuch – faszinierend, berührend, grandios erzählt. Vasco und Tina brennen leidenschaftlich füreinander – dabei will Tina in wenigen Wochen Edgar, den Vater ihrer Zwillinge heiraten. Die Liebe zur Literatur verbindet die beiden. Besonders die Gedichte von Paul Verlaine und Arthur Rimbaud. Als Vasco Tina bei ihrem ersten Date in der Nationalbibliothek seltene und kostbare Bücher zeigt, können sie nicht mehr die Finger voneinander lassen. Eine luftig-leichte Amour fou mit Krimielementen, die nebst der Spannung auch gleich noch Lust auf Lyrik macht – findet Annette König. Im heutigen Kurztipp «Von Wegen und Umwegen» erzählen zwanzig berühmte zeitgenössische Autorinnen und Autoren vom Spazieren. Unter anderem begibt sich der britische Schriftsteller Tim Parks auf Spurensuche eines italienischen Generals, und die britische Autorin Alison Louise Kennedy schultert den Rucksack und erklimmt Berge in Schottland. Ganz bequem – auf dem Sofa – kann man sie dabei begleiten. Unterhaltsame und inspirierende Lektüre, sagt Britta Spichiger. Buchhinweise: * Hilary Mantel. Sprechen lernen. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. 156 Seiten. Dumont Verlag, 2023. * François-Henri Désérable: Mein Meister und Bezwinger. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz. 216 Seiten. Rotpunktverlag, 2023 * Duncan Minshull. Von Wegen und Umwegen. Betrachtungen über das Leben zu Fuss. Übersetzt von Reiner Pfleiderer, Friedrich Pflüger, Elsbeth Ranke, Stephanie Singh und Wolfram Ströle. HarperCollins, 2023.
9/26/202323 minutes, 49 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Das Wallis und die Mutter

Thomas Hettche schreibt einen Roman, in dem das Wallis vom Rest der Welt isoliert wird. Wolf Haas schreibt über seine sterbende Mutter und das Leben.Zwei scheinbar unterschiedliche Bücher, die aber beide persönliche Geschichten erzählen und die Bedeutung von Erinnerungen thematisieren. Der deutsche Schriftsteller Thomas Hettche hat als Schauplatz seines neuen Romans das Wallis gewählt: Ein Bergsturz hat das Rhonetal in einen riesigen See verwandelt. Seither ist der Kanton abgeschottet – und hat sich losgesagt vom Rest der Welt. Um die Macht streiten sich nun der Leuker Kastlan und eine Bischöfin. Anfangs mutet «Sinkende Sterne» noch an wie ein realistischer Roman, doch bald strotzt er vor Phantastik. Katja Schönherr bringt das Buch an den Literaturstammtisch. Kann man vom Schreiben leben? Diese Frage kennt Wolf Haas. Sie wird ihm vermutlich oft genug gestellt. Nun dreht er sie um und schreibt vom Leben. Von seiner Mutter, die gerade im Sterben liegt, und von sich selbst, der sie in den Tod begleitet und eigentlich eine Poetikvorlesung schreiben muss. Titel: Kann man von Leben schreiben. Ein wunderbares Buch über das Leben und die Sprache. «Eigentum» - das bisher persönlichste Buch von Wolf Haas, sagt Michael Luisier. «The Marmalade Diaries» ist ein Tagebuch, das während des Corona-Lockdowns entstand: Der 34-jährige Ben sucht eine Wohnung und kommt unter bei der 85-jährigen Winnie. The perfect match? Man kann es nur hoffen, weil der Lockdown die beiden dazu zwingt, näher zusammenzurücken. Ben Aitken schreibt unterhaltsam und humorvoll über den gemeinsamen Alltag, ohne kitschig oder sentimental zu werden. Ein Buch, in das man sich kuscheln kann, findet Britta Spichiger. Buchhinweise: * Thomas Hettche. Sinkende Sterne. 215 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2023. * Wolf Haas. Eigentum. 169 Seiten. Carl Hanser, 2023. * Ben Aitken. The Marmalade Diaries. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. 352 Seiten. DuMont, 2023.
9/19/202324 minutes, 55 seconds
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Aktuelle Buchempfehlungen: Lebenskrisen

Der tödliche Unfall des Ehepartners wie in Brigitte Girauds „Schnell leben. Der Weg zu einer Geschlechtsanpassung, wie sie Henri Maximilian Jakobs in «Paradiesische Zustände» beschreibt. Vieles kann Lebenskrisen auslösen. Vieles muss gelöst werden. Bücher zum Thema am Literaturstammtisch. Welche Hürden sind für eine Geschlechtsangleichung zu überwinden? Der deutsche Musiker und Schauspieler Henri Maximilian Jakobs weiss das aus eigener Erfahrung. Nun hat er darüber einen Roman geschrieben. «Paradiesische Zustände» heisst er. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr lobt das Buch als informative und zugleich humorvolle Lektüre. In ihrem autofiktionalen Roman «Schnell leben» verarbeitet die französische Schriftstellerin Brigitte Giraud den frühen Tod ihres Mannes, der bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen ist. In nüchterner, klarer und präziser Sprache begibt sie sich schreibend an den Ort, der sie 25 Jahre lang vermieden hat, weil er zu schmerzhaft war. Eine tragische Liebesgeschichte, die einem verdeutlicht: es ist, was ist, darum geniesse den Moment! - findet Annette König, die das Buch wärmstens empfiehlt. Selbst der Buchtipp der Woche hat mit Krise und dem Versuch ihrer Bewältigung zu tun, denn es handelt sich um die Gedichte der hochsensiblen Mundartdichterin Maria Lauber, die ihre streng religiöse Erziehung nie ganz hinter überwinden konnte. Buchhinweise * Henri Maximilian Jakobs. Paradiesische Zustände. 350 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2023. * Brigitte Giraud. Schnell leben. Aus dem Französischen von Michael Kleeberg. 224 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt, 2023. * Maria Lauber. Gedichte in Frutiger Mundart. Kulturstiftung Frutigland (Hg.). 320 Seiten. Zytglogge, 2023.
9/12/202321 minutes, 32 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: On the run

Deborah Levy erzählt von einer Pianistin, die vor sich selbst flieht. Lion Christ von einem jungen homosexuellen Mann, der vor jedem mit Erwartungen an ihn davonrennt. Und Joachim B. Schmidt beschreibt, wie Kalmann, in den USA wegen einer Familienangelegenheit in der Tinte sitzt. Elsa M. Anderson ist eine berühmte Konzertpianistin. Bei ihrem Konzertauftritt in Wien vermasselt sie es. Sie verlässt die Bühne und stellt in Folge alles in Frage. Drei Wochen später beobachtet sie auf einem Flohmarkt in Athen eine Frau, die ihr auf seltsame Weise gleicht. In der Auseinandersetzung mit ihrer Doppelgängerin findet Elsa wieder zu sich selbst. Deborah Levy verbindet autobiografisches und fiktionales Erzählen. In ihrem sinnlichen Schreiben lässt sie das Schöne im Alltäglichen aufscheinen, findet Jennifer Khakshouri, die das Buch am Stammtisch empfiehlt. München, 1983. Flori, ein lebenshungriger junger Mann aus der Provinz, träumt von der grossen Liebe und dem prallen Leben. Er zieht in die Stadt und kommt in die vibrierende Münchner Schwulenszene, wo alles verkehrt, was Rang und Namen hat: von Rainer Werner Fassbinder bis Freddie Mercury. Doch mit der grossen Liebe tut er sich schwer. Und AIDS, was gerade aus Amerika nach Europa kommt, ändert alles auf katastrophale Weise. Lion Christ hat mit seinem Flori einen «schwulen Stenz» nach bestem bayerischem Vorbild geschaffen, was es bisher noch nicht gegeben hat. Und mit seinem Debütroman «Sauhund» ein Stück grossartige Literatur, sagt Michael Luisier, der das Buch am Stammtisch vorstellt. Im heutigen Kurz-Tipp «Kalmann und der schlafende Berg» stellt Annette König die Fortsetzung von Joachim B. Schmidts Krimireihe um seinen isländischen Sheriff von Raufarhöf fort. Dieses Mal sitzt Kalmann in der Tinte. Als er seinen amerikanischen Vater besucht und vom FBI aufgegriffen wird. Offenbar gibt es geheime Akten über seinen Grossvater. Die Spuren führen zurück in den Kalten Krieg. Buchhinweise: * Deborah Levy. Augustblau. Aus dem Englischen von Marion Hertle. 176 Seiten. Kampa, 2023. * Lion Christ. Sauhund. 370 Seiten. Hanser, 2023. * Joachim B. Schmidt. Kalmann und der schlafende Berg. 304 Seiten. Diogenes, 2023.
9/5/202322 minutes, 40 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Ferdinand von Schirach und Emma Cline

Einen genauen, analytischen Blick auf die heutige Gesellschaft. Und die Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen. Das bieten die beiden Bücher, die heute auf dem Literaturstammtisch liegen. Die US-Amerikanerin Emma Cline erhielt für ihr Debüt "The Girls" (2016) einen Vorschuss von über 2 Millionen Dollar. Es ging um eine Jugendliche in den Fängen einer Sekte. Unschwer war die Manson Family erkennbar. Deren Morde in Hollywood, die die Flower-Power-Ära der 1960er Jahre beendeten, verstören das Land bis heute. Im lange erwarteten neuen Roman "Die Einladung" nimmt Emma Cline erneut die Schattenseiten des amerikanischen Traums ins Visier. Sie erzählt von einem Escort Girl, das in der Welt der Reichen und Superreichen untergeht. Es gibt wenige deutschsprachige Star-Autoren dieses Formats: Ferdinand von Schirach. Seine Werke wurden millionenfach verkauft. Unter dem Titel «Regen» hat von Schirach nun ein neues Buch geschrieben: einen Theatermonolog, den er auf mehreren grossen Bühnen selbst vortragen wird. Drei Auftritte sind auch in der Schweiz geplant. Wer keine Karten ergattert, dem empfiehlt Literaturredaktorin Katja Schönherr die Lektüre dieses schmalen Bands. Der Roman «Die Erinnerungsfotografen» der Japanerin Sanaka Hiiragi ist ein Schmuckstück, findet Britta Spichiger. Wunderschön gestaltet, mit inspirierendem Inhalt: Herr Hiraska empfängt in seinem Fotostudio Menschen, die gestorben sind. Dort dürfen sie für jedes Lebensjahr ein Foto auswählen und für ein bestimmtes Foto nochmals in die Vergangenheit reisen und es neu schiessen. Herr Hisaka zeigt den Menschen, wie unschätzbar wertvoll Erinnerungen sind – und dass ihr Wert oft von der Perspektive, aus der man sie betrachtet, abhängig ist. Buchhinweise: * Emma Cline. Die Einladung. Aus dem Englischen von Monika Baark. 317 Seiten. Carl Hanser Verlag, 2023. * Ferdinand von Schirach. Regen. Eine Liebeserklärung. 112 Seiten. Luchterhand, 2023. * Sanaka Hiiragi. Die Erinnerungsfotografen. Aus dem Japanischen von Yukiko Luginbühl und Sabine Mangold. 176 Seiten. Hoffman und Campe, 2023.
8/29/202328 minutes, 19 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Erkundungen im Labyrinth des Lebens

Diaty Diallo zeigt in «Zwei Sekunden brennende Luft» die Ausweglosigkeit in der Banlieue. R.C. Sherriffs «Zwei Wochen am Meer» schildert eine Suche nach Glück, die sich nicht in seelischen Belastungen verirrt. Und Kurt Martis «Die Riesin» macht das Erzählen selbst zu einem faszinierenden Irrgarten. Die Französin Diaty Diallo erzählt in ihrem hochaktuellen Debüt «Zwei Sekunden brennende Luft» von Jugendlichen, die in der Pariser Banlieue aufwachsen: Von Familie, Freundschaft und erster Liebe - aber auch von Perspektivlosigkeit, Krawall, Polizeigewalt und Tod. Diaty Diallo schreibe mit grosser Musikalität, sagt Annette König, die den Roman an den Literatur-Stammtisch mitbringt. Die Autorin habe eine grosse Begabung, Stimmungen, Gefühle und Orte einzufangen: «Ein kraftvolles Buch, das grosse Explosionskraft besitzt.» «Zwei Wochen am Meer» des Briten R.C. Sherriff stammt aus dem Jahr 1931. Der Roman geriet in Vergessenheit und wurde kürzlich vom britischen Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro wiederentdeckt: Das Buch sei der lebensbejahendste Roman, den er kenne, sagt Ishiguro. «Zwei Wochen am Meer» erzählt von der Familie Stevens und ihren Ferien an der englischen Südküste. In der Geschichte geschieht nicht viel Ungewöhnliches, aber sie zeigt, wie fast jedes Vorhaben getragen ist von Hoffnungen, Befürchtungen und Idealvorstellungen. Gemäss Britta Spichiger verwebe der Roman voller Poesie scheinbar unbedeutende Situationen mit grossen Lebensfragen. Der 2017 verstorbene Berner Autor Kurt Marti war ein begnadeter Lyriker. Wie sehr er jedoch auch die längere Form beherrschte, bewies er mit seinem einzigen Roman «Die Riesin». Er schildert einen Bibliothekar, der sich auf die Suche nach einer Traumfigur macht und sich dabei in einem vertrackten Labyrinth wiederfindet. Der Roman erschien erstmals 1975. Der Autor hat diesen sprachlich experimentellen Text immer wieder überarbeitet. Nun erscheint er zum ersten Mal in seiner letzten Fassung. «Eine gute Gelegenheit, den grossen Schweizer neu zu entdecken», sagt Felix Münger. Buchhinweise: * Diaty Diallo. Zwei Sekunden brennende Luft. Aus dem Französichen von Nouria Behloul und Lena Müller. 176 Seiten. Assoziation A, 2023. * R.C. Sherriff. Zwei Wochen am Meer. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karl-Heinz Ott. 352 Seiten. Unionsverlag, 2023. * Kurt Marti. Die Riesin. Eine Nachforschung, Hg. und mit einem Nachwort von Stefanie Leuenberger und Andreas Mauz. 164 Seiten. Wallstein, 2023.
8/22/202328 minutes, 46 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Wenn Sicherheiten wegbrechen

Bernardine Evaristo erzählt von einem späten Coming-out der Liebe willen. Aline Valangin schildert den Ausnahmezustand in einem abgelegenen Tessiner Dorf während des Zweiten Weltkriegs. Und die Französin Maria Pourchet schreibt über einen harmlosen Flirt, der zum Flächenbrand wird. In «Mr. Loverman» beschreibt die gefeierte Autorin Bernardine Evaristo das Doppelleben eines Mannes. Mit Mitte 70 will Barry endlich sein Leben aufräumen. Das heisst, er will seine Frau verlassen und offen mit seiner grossen Liebe zusammensein, seinem Jugendfreund Morris. Wird Barry das späte Coming-out wagen? Von dieser Frage lebt der Roman. Und von seinem herrlich bissigen Humor, findet Katja Schönherr. Ein abgelegenes Dorf an der schweizerisch-italienischen Grenze ist Schauplatz im zweiten Roman von Aline Valangin. Die Bohemienne und Pianistin lebte während des Zweiten Weltkriegs selbst im Onsernone-Tal und beschreibt, was der Krieg mit dem Dorf machte. Wie die Männer zum Aktivdienst eingezogen wurden, Flüchtlinge verzweifelt um Aufnahme suchten, Schmuggler das ganze Dorf in einen fieberhaften Reishandel verwickelten. Es geht um Obrigkeitsgläubigkeit, Profitdenken und mangelndes Engagement – um eine verschonte Schweiz, die nur solidarisch ist, wenn es sie nichts kostet. Franziska Hirsbrunner empfiehlt den Roman am Literaturstammtisch. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Feuer» von der Französin Maria Pourchet vor. Laure, Akademikerin, Anfang vierzig, will endlich wieder ein Leben voller Überraschungen führen. Zu stark hat sie das Familien- und Berufsleben in starre Bahnen gewiesen. Das Feuer dazu entfacht die Liebe zu einem desillusionierten Investmentbanker. Was mit einem harmlosen Flirt beginnt, wird zum Flächenbrand. Pourchet beschreibt ungemein treffsicher die Sehnsüchte, Hoffnungen und Abgründe zweier Menschen, die vom Leben nicht dasselbe wollen. Buchhinweise: * Bernardine Evaristo. Mr. Loverman. Aus dem Englischen von Tanja Handels. 330 Seiten. Tropen, 2023. * Aline Valangin. Dorf an der Grenze. 217 Seiten. Limmat, 2023. * Maria Pourchet. Feuer. Aus dem Französischen von Claudia Marquardt. 320 Seiten. Luchterhand, 2023.
8/15/202326 minutes, 35 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Amélie Nothomb und Knut Hamsun

Zwei völlig unterschiedliche Werke, doch beide vom eigenen Leben inspiriert. Auf dem Literaturstammtisch liegen heute «Der belgische Konsul» von Amélie Nothomb und «Hunger» von Knut Hamsun. Die belgische Bestsellerautorin Amélie Nothomb hat ein sehr persönliches Buch über ihren Vater geschrieben, um dessen Tod zu verarbeiten. Der Roman heisst «Der belgische Konsul». Darin erzählt die Autorin von der Kindheit und dem bewegten Diplomatenleben von Patrick Nothomb, der mit 28 Jahren fast von einem Exekutionskomitee im Kongo erschossen worden wäre. Annette König bringt das Buch an den Literaturstammtisch und weiss auch viel von ihrer Begegnung mit der Autorin zu erzählen. Ein Ich-Erzähler irrt durch die Strassen von Kristiana, dem heutigen Oslo. Er ist mittellos und leidet Höllenqualen, weil er hungert. Und weil er keine Hilfe annehmen kann. Aus Scham und Ehrgefühl. Mit dem Roman «Hunger» von 1890 hat der norwegische Autor und spätere Nobelpreisträger Knut Hamsun Literaturgeschichte geschrieben. Der Roman gilt als Meilenstein des psychologischen Romans und sei auch heute noch ein Leseerlebnis, sagt Felix Münger. Die Neuübersetzung orientiert sich an der Urfassung, die Hamsun Jahrzehnte später veränderte, als er sich dem Nationalsozialismus zuwandte und ganze Passagen strich oder glättete. «Als wir Vögel waren» - der Roman von Ayanna Lloyd Banwo aus Trinidad – erzählt eine magische Liebesgeschichte. Es geht um Darwin und Yeijde, die aus vollkommen unterschiedlichen Welten kommen – und sich doch mit denselben Lebensfragen konfrontiert sehen. Britta Spichiger empfiehlt den Roman zur Lektüre, weil er einen in die Klänge, Bräuche und Legenden von Trinidad eintauchen lässt – und gleichzeitig mit zarter Poesie verzaubert. Buchangaben * Amélie Nothomb. Der belgische Konsul. Aus dem Französischen von Brigitte Grosse. 144 Seiten. Diogenes, 2023. * Knut Hamsun. Hunger. Neu übersetzt aus dem Norwegischen nach der Erstausgabe von 1890 von Ulrich Sonnenberg. 256 Seiten. Manesse, 2023. * Ayanna Lloyd Banwo. Als wir Vögel waren. Aus dem trinidad-kreolischen Englisch von Michaela Grabinger. 352 Seiten. Diogenes, 2023.
6/27/202327 minutes, 46 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Anthony McCarten und Yuko Tsushima

Der Neuseeländer Anthony McCarten zeigt in «Going Zero» auf, dass wir der totalen Überwachung (fast) nicht mehr entgehen können. Die Japanerin Yuko Tsushima erzählt in «Räume des Lichts» von einer alleinerziehenden Frau, die ein unabhängiges Leben will. Der Neuseeländer Anthony McCarten entwirft in seinem rasanten Thriller «Going Zero» ein erschreckend realistisches Szenario. Die US-amerikanischen Geheimbehörden schliessen sich zusammen mit der weltweit grössten privaten Datenbank. Alle Verantwortlichen sind überzeugt, dass die nationale Cybersicherheit nur gewährleistet ist, wenn sie ihre Kräfte bündeln, Technologien und Daten austauschen. Das gigantische Projekt muss nur noch einen Test bestehen: Zehn Freiwillige tauchen für dreissig Tage unter und dürfen absolut keine Spuren hinterlassen. Wenn die Datenkrake die Menschen nicht finden kann, platzt der Deal. Die japanische Schriftstellerin Yuko Tsushima (1947-2016) wird gerade international wiederentdeckt. Mit ihren stark autobiografisch geprägten Themen und ihrem nüchternen, aber lebensprallen Stil macht sie Furore. In «Räume des Lichts» erzählt sie, ihrer Zeit weit voraus, vom Alltag einer alleinerziehenden Frau im Tokio der 1970er Jahre und ihrem Kampf um die Kontrolle über das eigene Leben. Im heutigen Kurztipp «All die Liebenden der Nacht» von Mieko Kawakami geht es um eine junge Korrekturleserin, die nicht weiss, wie man lebt. Doch eine unverhoffte Begegnung mit einem Unbekannten durchbricht ihre Alltagsroutine und eröffnet ihr neue Perspektiven. Buchhinweise: * Anthony McCarten. Going Zero. Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. 464 Seiten. Diogenes, 2023. * Yuko Tsushima. Räume des Lichts. Aus dem Japanischen von Nora Bierich. 208 Seiten. Arche Literaturverlag, 2023. * Mieko Kawakami. All die Liebenden der Nacht. Aus dem Japanischen von Katja Busson. 260 Seiten. Dumont, 2023.
6/20/202324 minutes, 29 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Mathias Énard und Verena Kessler

Der französische Autor und die deutsche Autorin stellen in ihren neuen Romanen existentielle Fragen. Im einen geht es um kriegstraumatisierte Männer, im anderen um Mutterschaft. Im Zentrum des Romans «Der perfekte Schuss» des Franzosen Mathias Énard steht ein junger Scharfschütze, der in einem nicht bezeichneten Krieg aus dem Hinterhalt tötet – Soldaten und wahllos Zivilisten. Die Lektüre sei verstörend, sagt Felix Münger, aber auch dringlich. Denn das Buch leuchte in die kaputten Seelen von Menschen, die in Kriegen – in der Ukraine und anderswo - zu uniformierten Bestien werden und morden, foltern und vergewaltigen. Der Roman ist Énards Debütroman, der 2003 im französischen Original erschien und nun erstmals auf Deutsch vorliegt. Was spricht für das Kinderkriegen und was dagegen? In ihrem Roman «Eva» leuchtet die deutsche Autorin Verena Kessler das Thema «Mutterschaft» aus verschiedenen Perspektiven aus. So geht es zum Beispiel um Sina, die versucht, schwanger zu werden – doch es klappt nicht. Oder um die titelgebende Eva, die vehement dagegen ist, heutzutage noch Kinder zu bekommen. Nur ein Geburtenstopp könne unseren Planeten angesichts der Klimakrise retten, so ihre Meinung. Mit «Eva» hat Verena Kessler einen sehr klugen, anregenden und raffiniert konstruierten Roman geschrieben, findet Katja Schönherr. Der Roman «Die unglaubliche Grace Adams» erzählt von einer Frau in mittleren Jahren, die ihr Leben nochmals anpackt. An einem heissen Sommertag steht sie in London im Stau, eine Fliege nervt sie, der Schweiss läuft ihr aus allen Poren, sie ist spät dran, um sie herum ein Hupkonzert ungeduldiger Fahrer:innen. Grace steigt aus, lässt ihr Auto stehen – und stürmt quer durch London. Zu ihrer Tochter, die sie nicht mehr sehen will, zu ihrem Mann, der sich von ihr getrennt hat. Ihre Raserei, ihr Wutausbruch, haben etwas Heilendes und ermöglichen vielleicht sogar einen Neuanfang. Im Kurztipp empfiehlt Britta Spichiger das Buch als perfekte Sommerlektüre. Buchhinweise: * Mathias Énard. Der perfekte Schuss. Aus dem Französischen von Sabine Müller. 192 Seiten. Hanser Berlin, 2023. * Verena Kessler. Eva. 200 Seiten. Hanser Berlin, 2023. * Fran Littlewood. Die unglaubliche Grace Adams. Aus dem Englischen von Katharina Naumann. 368 Seiten. Ullstein, 2023.
6/13/202325 minutes, 4 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Familienroman und Astrologie-Comic

Bunt kommt es daher, das aktuelle BuchZeichen mit seinen Buchempfehlungen: Der wöchentliche Literaturstammtisch bespricht Alice Grünenfelders Familienroman «Jahrhundertsommer» und Liv Strömquists Comic «Astrologie». Gleichzeitig erinnert es an den Kinderbuchautor und Dichter Erich Kästner. Ein Provinzroman, der in den 1960er Jahren in Süddeutschland spielt: Magda wird von ihrem Mann verlassen. Fortan ächtet man sie in ihrem Dorf, als sei eine Scheidung ansteckend. Alice Grünfelders Roman "Jahrhundertsommer" ist eine gross angelegte Familiengeschichte. Und vor allem ist sie turbulent. Mit unvorhersehbaren Wendungen sorgt Grünfelder für Spannung, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Astrologie boomt, vor allem in den sozialen Medien, denn sie schenkt (scheinbare) Sicherheit in unsicheren und unübersichtlichen Zeiten. Mit ihrem neuen Comic «Astrologie» knöpft sich die schwedische Comic-Zeichnerin Liv Strömquist, eine Ikone des Feminismus, unsere Sternzeichen vor, indem sie auf sehr humorvoll-bissige Weise ihre Zuschreibungen auf die Schippe nimmt, ohne sie ins allzu Lächerliche zu ziehen. Auch Literaturredaktorin Nicola Steiner, die den Comic ins Buchzeichen mitbringt, findet sich in diesem Comic wieder, wenn es dort zu ihrem Sternzeichen heisst, Schützen seien unglaublich open-minded Outside-The-Box-Denker*innen – ausser wenn es um Vorschläge anderer Leute geht. Der Tipp der Woche stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt den Sammelband «Erich Kästner – Resignation ist kein Gesichtspunkt – Politische Reden und Feuilletons», der gerade vom deutschen Literaturwissenschaftler und Erich-Kästner-Biografen Sven Hanuschek herausgegeben wurde. Buchhinweise: * Alice Grünfelder. Jahrhundertsommer. 320 Seiten. dtv, 2023. * Liv Strömquist. Astrologie. Aus dem Schwedischen von Katharina Erben. 176 Seiten. Avant Verlag, 2023. * Erich Kästner. Resignation ist kein Gesichtspunkt. Politische Reden und Feuilletons. Herausgegeben von Sven Hanuschek. 238 Seiten. Atrium Verlag, 2023.
6/6/202323 minutes, 35 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Vielfältige Frauenstimmen

Claire Keegan erzählt kraftvoll die Geschichte eines Mädchens aus prekären Verhältnissen. Gwendolyn Brooks schildert die Lebenssituation einer Schwarzen Frau in Chicago Anfang des 20. Jh. Und Maylis de Kerangal schreibt vielstimmig über Momente der Nähe und Entfremdung im Leben von acht Frauen. Die berührende Erzählung «Das dritte Licht» von der irischen Schriftstellerin Claire Keegan erschien bereits vor Jahren. Im Zentrum steht ein Mädchen aus prekären Verhältnissen, das in die Pflege bei kinderlosen Verwandten gegeben wird. Mit kriminalistischem Gespür beschreibt Keegan, wie sich eine neue Welt für das Kind eröffnet. Nun ist dieser Text in einer überarbeiteten Version neu aufgelegt worden – anlässlich der Verfilmung «The Quiet Girl», die in diesem Jahr für die Oscars nominiert war. Für Nicola Steiner ist Keegan eine der interessantesten literarischen Stimmen unserer Zeit. Die US-Amerikanerin Gwendolyn Brooks (1917-2000) hat vorrangig Lyrik verfasst. Und im Jahr 1953 einen einzigen Roman. Dieser erscheint jetzt erstmals auf Deutsch. Benannt nach seiner Hauptfigur «Maud Martha», beschreibt er das Leben einer Schwarzen Frau in Chicago Anfang des 20. Jahrhunderts. Maud Martha will ihren ärmlichen Verhältnissen entfliehen. Doch in einer rassistischen und männlich dominierten Gesellschaft ist das unmöglich. Ein zartes, berührendes Buch, findet Literaturredaktorin Katja Schönherr. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Erzählband «Kanus» von der Französin Maylis de Kerangal vor. Darin sind acht unterschiedliche Frauenstimmen versammelt, die von Nähe und Entfremdung erzählen, die durch das Timbre oder die Veränderung einer Stimme ausgelöst werden kann. Buchhinweise: * Claire Keegan. Das dritte Licht. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. 104 Seiten. Steidl, 2023. * Gwendolyn Brooks. Maud Martha. Aus dem Amerikanischen von Andrea Ott. 150 Seiten. Manesse, 2023. * Maylis de Kerangal. Kanus. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. 168 Seiten. Suhrkamp, 2023.
5/30/202326 minutes, 51 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Meine Lesebiografie

Martina Clavadetscher, preisgekrönte Autorin und Dramatikerin, und Hannes Binder, ausgezeichneter Illustrator und Maler, sind die heutigen Gäste. In der Sendung «BuchZeichen» schauen beide zurück auf ihr bisheriges Literaturleben. Als Lesende. Welche Lektüre hat die beiden geprägt? Wie hat Lesen sie beeinflusst und begleitet? Welche Bücher haben sie in eine Ecke geschmissen? Und welche hüten sie wie einen Schatz? In der Sendung «BuchZeichen» von den Solothurner Literaturtagen unterhalten sich Martina Clavadetscher und Hannes Binder über ihr Leseleben. Buchhinweise: * Otfried Preussler. Krabat. 272 Seiten. Thienemann Verlag, 2016. * Alfred Kubin. Die andere Seite. 308 Seiten. Rowohlt Taschenbuch, 2010.
5/23/202328 minutes, 17 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Sylvie Schenk und Esther Schüttpelz

Geschichten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, werden vorgestellt am Literaturstammtisch im BuchZeichen. Da ist zum einen das erschütternde Frauenschicksal aus «Maman» von Sylvie Schenk und zum anderen die Coming-of-Age-Geschichte «Ohne mich» der Debütantin Esther Schüttpelz. Die 78-jährige deutsch-französische Autorin Sylvie Schenk rekonstruiert in «Maman» die Geschichte ihrer Mutter, die weitgehend unbekannt geblieben war. Die Mutter wurde unehelich in bitterarme Verhältnisse geboren. Wer ihr Vater war, wusste man nicht. Ihre Mutter starb nach der Geburt. Das Kind kam zu Bauern und wurde dort vermutlich misshandelt. Es erholte sich auch unter der Obhut gutbürgerlicher Adoptiveltern nicht mehr. Auch später, als Frau eines Zahnarztes und Mutter von fünf Kindern, blieb sie leblos wie eine Puppe. Sylvie Schenk erzählt diese erschütternde Geschichte, die Franziska Hirsbrunner mit an den Stammtisch bringt, auf wenigen Seiten, aber mit vielen Exkursen in Zeitgeschichte, Gesellschaft und Politik. Annette König bringt «Ohne mich» von Esther Schüttpelz in die Sendung. In ihrem Debüt erzählt die junge deutsche Autorin von einer Frau Mitte zwanzig, die aus einer Laune heraus heiratet, um den Ernst des Lebens auszuprobieren. Und ja, den Ernst des Lebens lernt sie dann auch kennen, muss sich aber bald eingestehen, dass die Heirat eine Schnapsidee gewesen ist. Eine Coming-of-Age-Geschichte, die viel über die Genration Z verrät einer jungen Autorin, die dafür auch mit dem lit. Cologne Debütpreis ausgezeichnet wurde. Buchhinweise: * Sylvie Schenk. Maman. 176 Seiten. Hanser Verlag, 2023. * Esther Schüttpelz. Ohne mich. 208 Seiten. Diogenes, 2023.
5/16/202324 minutes, 9 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Wenn Literatur eigene Welten schafft

Charles Ferdinand Ramuz Klimaroman «Sturz in die Sonne» erschafft eine eigene visionäre Welt. Tabea Steiners zweiter Roman «Immer zwei und zwei» erzählt vom engen Freikirchenmilieu und Karl-Josef Kuschels «Magische Orte» von Begegnungen mit Menschen, Büchern und Orten, wo Literatur entstanden ist. Charles Ferdinand Ramuz' Roman «Présence de la mort» erscheint jetzt erstmals auf Deutsch. Und zwar unter dem Titel «Sturz in die Sonne». Der Text ist 100 Jahre alt – und trotzdem aktueller denn je, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Es sei der «Klimaroman der Stunde», sagt sie. Er halte uns heute in unserem Umgang mit der Klimakrise den Spiegel vor. Den eigenen Weg gehen, ein selbstbestimmtes Leben führen und was die Hindernisse dabei sein können – davon erzählt die Schweizer Autorin Tabea Steiner in ihrem zweiten Roman «Immer zwei und zwei». Das Buch schildert eine Frau mittleren Alters, die aus einer Freikirche aussteigen will, weil sie die dortige Enge und Bevormundung nicht mehr erträgt. Für Felix Münger zeigt der Roman am Beispiel der Freikirchenthematik anschaulich, wie sehr der Weg in die Freiheit ganz generell beschwerlich sein kann. Denn neben äusseren Zwängen können auch eigene Prägungen und hinderlich sein, sich selbst zu werden. Im heutigen Kurz-Tipp stellt Annette König «Magische Orte» von Karl-Josef Kuschel vor. Das Buch ist eine inspirierende und fesselnde Mischung aus Autobiografie und Sachbuch über Literatur. Buchhinweise: * Charles Ferdinand Ramuz. Sturz in die Sonne. Aus dem Französischen von Steven Wyss. 200 Seiten. Limmat, 2023. * Tabea Steiner. Immer zwei und zwei. 208 Seiten. Edition Bücherlese, 2023. * Karl-Josef Kuschel. Magische Orte. Ein Leben mit der Literatur. 664 Seiten. Patmos, 2022.
5/9/202326 minutes, 40 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Salman Rushdie und John Irving

Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie erzählt von einer mythischen, südindischen Stadt im 14. Jahrhundert. Und der US-Amerikaner John Irving nimmt die Leserschaft mit auf einer Reise durchs Leben eines Jungen auf der Suche nach seinen Wurzeln. Michael Luisier bringt den neuen Roman von Salman Rushdie mit in die Sendung. In «Victory City», einer als Mythologie verpackten Geschichte über den Aufstieg und Fall der mittelalterlichen Stadt Bisnaga, kommt der britisch-indische Schriftsteller einmal mehr auf seine Hauptthemen zu sprechen: Religiöser Fanatismus und die Macht des Wortes. Und hier ganz besonders: die Stärke Frau. Exeter, New Hampshire in den 1950er Jahren. Der spätere Ringer und Drehbuchautor Adam Brewster wächst umgeben von einer homoerotischen Dreiecks-Beziehung auf. Die besteht aus seiner Mutter, ihrer lesbischen Freundin und dem Ehemann der Mutter – der lebt allerdings als Frau. Die drei betrügen einander nicht, lieben sich auf ihre eigene Weise. Doch die Gesellschaft stösst sich daran. Und Adam hat Angst, dass sich dieses prekäre Dreiecksverhältnis irgendwann auflösen könnte. John Irvings neuer Roman sei eine süffige Familiensaga in Überlänge und ein Plädoyer für queere Lebensentwürfe, sagt Annette König, die das Buch am Literaturstammtisch empfiehlt. Den heutigen Kurztipp widmet Britta Spichiger dem Buch «Besser allein als in schlechter Gesellschaft». Die kroatische Autorin Adriana Altaras erzählt darin von ihrer wunderbar eigensinnigen Tante, die sie ein Leben lang eng begleitet hat. Die ihr in allen Lebenskrisen zur Seite stand und sie noch mit 98 Jahren mit Ratschlägen, Pasta und Barbesuchen tröstete. Empfehlenswerte Lektüre, weil sie zeigt, wie man das Leben annehmen – und loslassen kann. Buchhinweise: * Salman Rushdie. Victory City. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 416 Seiten. Penguin, 2023. * John Irving. Der letzte Sessellift. Aus dem Amerikanischen von Anna-Nina Kroll und Peter Torberg. 1088 Seiten. Diogenes Verlag, 2023. * Adriana Altaras. Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Meine eigensinnige Tante. 240 Seiten. Kiepenheuer und Witsch, 2023.
5/2/202326 minutes, 59 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Swing, Romance und Nervenkitzel

Demian Lienhard erzählt von einer Jazz Band, die swingend Propaganda macht. Colleen Hoover schreibt über grosse Gefühle und trifft damit den Nerv der Zeit. Und Hopes & Toes beunruhigen mit einem EU-Thriller, der vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs bedeutsam wird. Auf Geheiss des Nazi-Propagandaministers Goebbels wurde im Zweiten Weltkrieg eine Jazz-Band gegründet, die amerikanischen Swing mit englischsprachigen, pro-deutschen Propagandatexten kombinierte – die per Radio über den Ärmelkanal nach England gesendet wurden. «Charlie and His Orchestra» hiess die Combo, die es tatsächlich gegeben hat und um deren Geschichte der neue Roman des Schweizer Autors Demian Lienhard kreist. Für Simon Leuthold ein spannendes Stück Geschichte, das zum Nachdenken über Propaganda und das Wesen der Literatur anregt. Auf den ersten Blick wirken ihre Romane wie aus der Zeit gefallen. Die US-Amerikanerin Colleen Hoover schreibt Geschichten, wie man sie in einem Arztroman aus dem Kiosk findet: bildhübsche junge Frau verliebt sich in attraktiven Neurochirurgen. So schematisch und vorhersehbar das klingt – Hoover trifft einen Nerv der Zeit. Letztes Jahr hat niemand so viele Bücher verkauft wie sie. Und auch dieses Jahr setzt sich ihre gigantische Erfolgsgeschichte fort. Ein interessantes Phänomen, das einige Schlüsse über unsere Gesellschaft zulässt, findet Britta Spichiger. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Thriller «Der Tallinn-Twist» vom Autorenduo Hopes & Toes vor. Ein Spionagefall in der Europäischen Union führt die Agentin Marie Vos von Brüssel nach Estland. Dort kommt es zu einem Anschlag gegen die E(U)mperors, die das Baltikum unterwerfen wollen. Buchhinweise: * Demian Lienhard. Mr. Goebbels Jazz Band. 320 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt, 2023. * Colleen Hoover. Nur noch ein einziges Mal. It Ends with Us. Aus dem Amerikanischen von Katarina Ganslandt. 407 Seiten. dtv, 2022. * Hoeps & Toes. Der Tallinn-Twist. 320 Seiten. Unionsverlag, 2022.
4/25/202321 minutes, 39 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Lukas Bärfuss und Veronica Raimo

«Die Krume Brot», Lukas Bärfuss Roman zum Thema Armut und «Nichts davon ist wahr», Veronica Raimos Tragikomödie über eine reichlich verrückte Familie, das die beiden aktuellen Bücher am Literaturstammtisch. Die Armut ist ein Monster, das ganze Biografien zerstören kann. Dies zeigt der neue Roman «Die Krume Brot» des Schweizer Autors und Büchner-Preis-Trägers Lukas Bärfuss. Er schildert das Los einer jungen Frau mit italienischen Wurzeln. Sie wächst in den 1960er Jahren in prekären Verhältnissen in Zürich auf, kann ihre Armut nie überwinden und gerät dadurch mehr und mehr in den Abgrund. Ein aufwühlendes Werk auf literarisch hohem Niveau und voll von Bezügen zur globalen Gegenwart, findet Felix Münger. Die 44-jährige italienische Schriftstellerin Veronica Raimo hat schon einige Bücher veröffentlicht. Trotzdem ist sie bei uns bislang noch kaum bekannt. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr hofft, dass sich das ändert. Ihren neuen Roman «Nichts davon ist wahr», in dem es um das Aufwachsen in einer grotesken Familie geht, in der jeder einen anderen Spleen hat, hält sie für eine Perle unter den Neuerscheinungen in diesem Frühjahr. Der Buchtipp dieser Woche stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt «Schreibwelten. Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen». Und tatsächlich geht es genau um das, was der Titel auch besagt: um die Orte, an denen Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf und 45 weitere Autorinnen und Autorinnen ihre Bestseller geschaffen haben. Und das in Wort und Bild. Buchhinweise: * Lukas Bärfuss. Die Krume Brot. 224 Seiten. Rowohlt, 2023. * Veronica Raimo. Nichts davon ist wahr. Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. 223 Seiten. Klett-Cotta, 2023. * Alex Johnson und James Oses. Schreibwelten. Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen. Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer. 192 Seiten. wbg Theiss, 2023.
4/18/202323 minutes, 40 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Jeder Tag ist ein Geschenk

Lebenskluge Bücher – um sie geht es am Literaturstammtisch: Helga Schubert erzählt von ihrem Leben als Pflegerin ihres geliebten Mannes. Hansjörg Schneider erkundet spazierend und schreibend sein Leben als Senior. Und ein neuer Gedichtband, der eigentlich alt ist, ermöglicht lyrische Zaubermomente. Die deutsche Schriftstellerin Helga Schubert ist 83. Ihr Mann ist 96 Jahre alt – und pflegebedürftig. Schubert kümmert sich zu Hause um ihn. Rund um die Uhr ist sie für ihn da. In ihrem neuen Buch «Der heutige Tag» beschreibt sie ihren kräftezehrenden Pflege-Alltag und findet gleichzeitig sehr berührende Worte für die Liebe zu ihrem Mann. Das Buch sei ein poetisches Abschiednehmen, findet Katja Schönherr. Ein ausserordentliches Vergnügen sei die Lektüre des neuen Buches von Hansjörg Schneider «Spatzen am Brunnen», sagt Michael Luisier. Der Romancier, Dramatiker und Krimi-Autor erinnert sich darin auf langen Spaziergängen durch vertraute Strassen seiner Wahlheimat Basel an seine Vergangenheit. Indem sich Hansjörg Schneider gleichzeitig Gedanken zu literarischen und philosophischen Themen macht, zeigt er sich aber auch wach für die Gegenwart. «Der ewige Brunnen» ist eine der bekanntesten Sammlungen deutschsprachiger Gedichte. Die erste Auflage erschien vor knapp siebzig Jahren. Nun hat der Jenaer Literaturprofessor Dirk von Petersdorff die Sammlung neu herausgebracht. Noch immer sei die präsentierte Fülle mit 1'200 Gedichten enorm, sagt Felix Münger, aber sie sei zünftig entstaubt. So finden sich etwa Songtexte von Udo Lindenberg: Kurzum: Ein Buch, das sich perfekt eignet, um den Reichtum der Lyrik zu erkunden. Buchhinweise: * Helga Schubert. Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe. 272 Seiten. dtv, 2023. * Hansjörg Schneider. Spatzen am Brunnen. Aus dem Tagebuch. 208 Seiten. Diogenes, 2023. * Dirk von Petersdorff (Hrg.). Der ewige Brunnen. Deutsche Gedichte aus zwölf Jahrhunderten. 1167 Seiten. C.H.Beck, 2023.
4/11/202327 minutes, 35 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Ausflug in die Vergangenheit

Der österreichische Autor Clemens J. Setz und der französische Autor Eric Vuillard erzählen in ihren neuen Romanen von Ereignissen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, deren Spuren bis in die Gegenwart reichen. Seinen neuen Roman «Monde vor der Landung» widmet Clemens J. Setz einem Militärpiloten im Ersten Weltkrieg, der die Erdkrümmung zwar mit eigenen Augen sehen konnte, aber trotzdem überzeugt war, dass die Erde keine Kugel im All ist. Sondern eine hohle Kugel, auf deren Innenseite wir leben. Diesen Militärpiloten, Peter Bender, gab es wirklich. Clemens J. Setz macht ihn zu einer tragisch-grotesken Figur. Und zeigt Parallelen auf zu heutigen Querdenker-Bewegungen. Simon Leuthold bringt den Roman an den Literaturstammtisch. Der preisgekrönte Franzose Éric Vuillard erzählt in seinem neuen Buch «Ein ehrenhafter Abgang» in gewohnt ungewohnter Manier von einem historischen Einzelereignis. Dieses Mal nimmt er sich den blutigen Krieg vor, den Frankreich als Kolonialmacht von 1946 bis 1954 in Indochina führte. Vuillard gelinge es in diesem Buch einmal mehr, die Geschichte «gegen den Strich zu bürsten» und so die Absurdität des Kriegs blosszustellen, findet Felix Münger. Die Art, wie Vuillard historische Fakten neu montiere und literarisch miteinander verbinde, ermögliche neue Einblicke in das grässliche Geschehen von damals. Im heutigen Kurztipp stellt Britta Spichiger den Debütroman des jamaikanisch-amerikanischen Autors Jonathan Escoffery vor. In «Falls ich dich überlebe» erzählt er von einer Einwandererfamilie, die in den USA ein neues Leben aufzubauen versucht. Und dabei mit Gewalt, Rassismus und Demütigung konfrontiert ist. Eindrücklich – mit bildhafter und wuchtiger Sprache zeigt er, was konstante Entwurzelung bedeuten kann. Buchhinweise: * Clemens J. Setz. Monde vor der Landung. 528 Seiten. Suhrkamp, 2023. * Éric Vuillard. Ein ehrenhafter Abgang. Aus dem Französichen von Nicola Denis. 139 Seiten. Matthes & Seitz, 2023. * Jonathan Escoffery: Falls ich dich überlebe. Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens. 288 Seiten. Piper, 2023.
4/4/202326 minutes, 37 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Tonio Schachinger und Werner Ryser

«Echtzeit» von Tonino Schachinger und «Windhauch, das ist alles Windhauch» von Werner Ryser sind Thema am Literaturstammtisch im SRF-BuchZeichen. Ebenfalls mit dabei: Ursus Wehrlis neustes Buch «Unnütze Dinge. Ein Katalog von Sachen, die niemand braucht, und trotzdem keiner haben will.» Nach der Welt eines Fussballstars nimmt sich der 31jährige österreichische Autor Tonio Schachinger in seinem zweiten Roman «Echtzeitalter» ein Wiener Elitegymnasium vor. Das Marianum ist eine traditionsreiche Schule für den Nachwuchs der Reichen und Einflussreichen. Die Kinder wiederum wissen in dieser Schule schon mit zehn, dass sie einmal Jura, Wirtschaft oder Medizin studieren wollen (oder sollen). Till fällt da etwas aus dem Rahmen: Ohne dass es jemand mitbekäme, gehört er in seiner Kategorie weltweit zu den zehn besten Spielern eines Echtzeitstrategiespiels. Wie Till mit „Age of Empires 2 acht Jahre Schulzeit übersteht, erzählt Tonio Schachinger in einem witzigen und berührenden Buch, das Franziska Hirsbrunner am Literaturstammtisch vorstellt. André Perler kommt mit «Windhauch, das ist alles Windhauch» dem vierten und letzten Teil von Werner Rysers Diepoldswiler-Saga in die Sendung. Darin kehren die Nachfahren von Simon Diepoldswiler, der 1866 aus dem Emmental nach Georgien ausgewandert ist, in die Schweiz zurück. Das riesige Bauerngut, das Simon unter der Zarenherrschaft aufgebaut hat, geht unter der kommunistischen Herrschaft verloren. Und um nicht auch noch deportiert oder gar ermordet zu werden, wandern einige Diepoldswilers in das ihnen unbekannte Land ihrer Vorfahren aus: die Schweiz. Der Buchtipp der Woche stammt von Michael Luisier: Er stellt «Unnütze Dinge», das neuste Buch des Künstlers und Kabarettisten Ursus Wehrli vor, ein Buch voller Sachen, die niemand braucht und trotzdem keiner haben will. Buchhinweise: * Tonio Schachinger. Echtzeitalter. 364 Seiten. Rowohlt Verlag, 2023. * Werner Ryser. Windhauch, das ist alles Windhauch. 260 Seiten. Cosmos Verlag, 2023. * Urus Wehrli. Unnütze Dinge. Ein Katalog von Sachen, die niemand braucht, und trotzdem keiner haben will. 180 Seiten. Kein & Aber, 2023.
3/28/202324 minutes, 38 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Julia Schoch und Daniel Glattauer

Wohin geht die Liebe, wenn sie geht? Diese Frage stellt die deutsche Autorin Julia Schoch in ihrem neuen Roman. Und der österreichische Autor Daniel Glattauer greift ein aktuelles gesellschaftliches Thema auf. In Julia Schochs neuem Roman «Das Liebespaar des Jahrhunderts» geht es um eine Frau, die ihren Mann verlassen will. Doch bevor sie das tut, lässt sie die gemeinsamen Jahrzehnte Revue passieren. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr ist begeistert von diesem Buch. Man könne kaum schöner, kaum ehrlicher über die Ernüchterung schreiben, die auf die anfängliche Verliebtheit folgt, als Schoch es in diesem Roman getan hat. Wieviel ist ein Menschenleben wert? Dieser Frage geht der österreichische Autor Daniel Glattauer in seinem aktuellen Roman «Die spürst du nicht» nach. Anhand einer Tragödie in einer Flüchtlingsfamilie lässt er Menschen zu Wort kommen, die in unserer privilegierten Gesellschaft oft nicht gehört werden. Michael Luisier legt das Buch auf den Literaturstammtisch. Die irische Autorin Christina Dwyer Hickey nimmt ihre Leser:innen mit in die 1950-er Jahre, nach Neu England. In ihrem Roman «Schmales Land» erzählt sie vom Künstlerehepaar Edward und Josephine Hopper. Sie verknüpft die Geschichte mit dem Schicksal eines zehnjährigen Jungen. Ein Roman wie ein Hopper-Gemälde, findet Britta Spichiger. Buchhinweise: * Julia Schoch. Das Liebespaar des Jahrhunderts. 190 Seiten. dtv, 2023. * Daniel Glattauer. Die spürst du nicht. 304 Seiten. Zsolnay, 2023. * Christine Dwyer Hickey. Schmales Land. Aus dem Englischen von Uda Strätling. 416 Seiten. Unionsverlag, 2023.
3/21/202324 minutes, 7 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Drei «Grandes Dames et Messieurs» der Schweizer Literatur

Mit Franz Hohler wandern wir «Rheinaufwärts». Mit Christian Hallers «Sich lichtende Nebel» überschreiten wir mentale Grenzen. Und mit Leta Semadeni lyrischem Erzählen springen wir von Zeile zu Zeile. Verteilt auf zweieinhalb Jahre wanderte Franz Hohler dem Rhein entlang, von Schaffhausen bis zur Quelle des Vorderrheins. In «Rheinaufwärts» nehmen wir beim Lesen nicht nur das Bild einer Landschaft und ihrer Geschichte mit, sondern auch Impressionen von Alltäglichem und Merkwürdigem. Und: der Rhein wird einem zum Freund. Das sagt Markus Gasser, der das Buch mit an den Literaturstammtisch nimmt. Im Zentrum von Christian Hallers Novelle «Sich lichtende Nebel» stehen zwei Männer: der junge Physiker Werner Heisenberg, der die Theorie der Quantenmechanik entwickeln wird und der pensionierte Geschichtsprofessor Helstedt, der um seine Frau trauert. Doch trotz unterschiedlicher Ausgangslage sind beide mit derselben Frage konfrontiert: Existiert etwas nur, wenn ich es sehe? Ein schwebendes Buch über Grenzen und Möglichkeiten der Wahrnehmung, findet Britta Spichiger, die die Novelle sehr empfiehlt. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König die Grand Prix Literatur-Preisträgerin Leta Semadeni vor. Die Schriftstellerin schreibt lyrische Prosa. Ob Roman oder Gedicht, das Erzählerische findet sich im Lyrischen, das Lyrische im Erzählerischen. Diese Synthese macht Leta Semadenis Schreiben aus und zeigt sich wunderbar in ihrem Gedichtsammelband «Ich bin doch auch ein Tier». Buchhinweise: * Franz Hohler. Rheinaufwärts. 125 Seiten. Luchterhand Verlag, 2023. * Christian Haller. Sich lichtende Nebel. 122 Seiten. Luchterhand Verlag, 2023. * Leta Semadeni. Ich bin doch auch ein Tier. Gesammelte Gedichte. Rätoromanisch - Deutsch. 192 Seiten. Atlantis Verlag, 2022.
3/14/202324 minutes, 21 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Bücher von Tine Melzer und Milena Michiko Flašar

Am Literaturstammtisch im BuchZeichen diskutieren Britta Spichiger und Annette König über neue Romane von Tine Melzer und Milena Michiko Flašar. Gastgeber ist Michael Luisier. In ihrem Debütroman «Alpha Bravo Charlie» erzählt die Künstlerin und Autorin Tine Melzer von einem pensionierten Linienpiloten: Johann Trost. Auch als Rentner hält er sich strikt an Regeln und die eigenen Prinzipien. Aber er muss sich nun vermehrt mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen, und das fällt ihm nicht leicht. Er flüchtet in seine eigene Welt – und baut eine Modellbaulandschaft. Britta Spichiger gefällt die präzise, bildhafte Sprache des Romans und die Auseinandersetzung mit einer Frage, die wohl uns alle beschäftigt: wie finden wir unseren Platz auch in einem späteren Lebensabschnitt? Der neue Roman «Oben Erde, unten Himmel» der Österreicherin Milena Michiko Flašar erzählt von einer jungen Frau, die ihren Job verliert und gesellschaftlich durchzufallen droht. Doch dann erhält sie ein ungewöhnliches Jobangebot. Sie wird Reinigungskraft an Leichenfundorten. «Oben Erde, unten Himmel» ist ein tiefsinniger Roman über das aktuelle Leben in Japan, findet Annette König, die das Buch am Literaturstammtisch empfiehlt. Der Buchtipp der Woche ist ein Bilderbuch: Michael Luisier empfiehlt «Herr Unverwechselbar» der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und illustriert von Joanna Concejo. Eine beeindruckende Parabel über Selbstdarstellung, den Wunsch nach Anerkennung und die Gefahr, sein Gesicht und damit sich selbst zu verlieren. Buchhinweise: * Tine Melzer. Alpha Bravo Charlie. 126 Seiten. Jung und Jung, 2023. * Milena Michiko Flašar. Oben Erde, unten Himmel. 304 Seiten. Wagenbach. 2023. * Olga Tokarczuk, Joanna Concejo. Herr Unverwechselbar. Aus dem Polnischen von Lothar Quinkenstein. 48 Seiten. Kampa, 2023. Weitere Themen: - Shortlist Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2023
3/7/202320 minutes, 43 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Terror, Tod, Trauer

Percival Everetts neuer Roman «Die Bäume» erzählt von Lynchjustiz. Karl Alfred Loesers Roman «Requiem» von den Mechanismen des Terrors. Und Emmanuelle Fournier-Lorentzs Debüt «Villa Royal» ist die Flucht einer Familie vor der Trauer. Für seinen Roman «Die Bäume» hat sich der US-Autor Percival Everett für eine Mischung aus Thriller, Komödie und Geschichts-Aufarbeitung entschieden. Diese Mischung hätte schiefgehen können. Aber Everett ist ein stimmiges Werk gelungen, das man nicht mehr aus der Hand lege – und das den vielen schwarzen Opfern von Lynchjustiz in den USA ein Denkmal setzt, findet Literaturredaktorin Katja Schönherr. Dass wir den Roman «Requiem» heute lesen können, ist eine kleine Sensation. Karl Alfred Loesers Text blieb Zeit seines Lebens unentdeckt. Erst nach seinem Tod, 1999, fand die Familie das Buchmanuskript. Nun ist der Roman über einen jüdischen Musiker im nationalsozialistischen Deutschland veröffentlicht worden. Tim Felchlin ist fasziniert von der Klarsicht, mit der Loser die Mechanismen des Terrors durchschaut – und das noch vor Beginn des Holocaust. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König das aussergewöhnliche Debüt «Villa Royal» von der Französin Emmanuelle Fournier-Lorentz vor. In starken, intensiven Bildern lässt uns die Autorin Teil eines Familiengefüges werden, das nach dem Tod des Vaters, verzweifelt einen Ausweg aus der Trauer sucht. Buchhinweise: * Percival Everett. Die Bäume. 360 Seiten. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Hanser, 2023. * Karl Alfred Loeser. Requiem. 320 Seiten. Klett-Cotta, 2023. * Emmanuelle Fournier-Lorentz. Villa Royal. Aus dem Französischen von Sula Textor. 288 Seiten. Dörlemann, 2023.
2/28/202322 minutes, 40 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Frauen und ihr direkter Blick aufs Leben

Die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja schreibt in ihrem neuem Buch über die drängenden Fragen unserer Zeit genauso wie über ihre persönlichen Erfahrungen. Die niederländische Schriftstellerin Simone Atangana Bekono thematisiert strukturellen Rassismus. Mit «Die Erinnerung nicht vergessen» veröffentlicht die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja den zweiten Band autobiografischer Prosa. Persönliche Notizen über ihre Familie, über Herkunft und Glauben, über den eigenen Körper und seine Narben stehen neben den drängenden Fragen zur aktuellen politischen und ökologischen Situation. Für Michael Luisier sind diese Texte jetzt schon ein Vermächtnis der im Berliner Exil lebenden Schriftstellerin. «Salomés Zorn» - so heisst das Debüt der niederländischen Schriftstellerin Simone Atangana Bekono. Sie erzählt darin von der sechzehnjährigen Salomé, die früh gelernt hat, einzustecken. Doch als sie eines Tages wieder wegen ihrer Hautfarbe gemobbt und schikaniert wird, schlägt sie auf einen ihrer Widersacher ein, bis dieser ein Auge verliert. Salomé verbringt sechs Monate in der Jugendstrafanstalt. «Ein Debüt, das mit ungeheurer Wut von strukturellem Rassismus und Fremdsein erzählt und vor Nichts die Augen verschliesst», sagt Annette König, die das Buch an den Literaturstammtisch mitbringt. Im heutigen Kurztipp stellt Britta Spichiger einen wiederentdeckten Klassiker vor: «Wo wenig Regen fällt» der US-amerikanischen Autorin Mary Hunter-Austin. Sie schreibt über den Südwesten der USA und beobachtet das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen in einer in vielerlei Hinsicht ganz besonderen Landschaft. Ihr Blick ist nicht analytisch, sondern empathisch. In ihren Augen ist die Gegend nicht in erster Linie geprägt vom Überlebenskampf, sondern von einer mystischen Macht. Frei von Kitsch oder Pathos, haben ihre literarischen Skizzen auch über 100 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung nichts von ihrer Leuchtkraft verloren. Buchhinweise: * Ljudmila Ulitzkaja. Die Erinnerung nicht vergessen. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt und Christina Links. 192 Seiten. Carl Hanser, 2023. * Simone Atangana Bekono. Salomés Zorn. Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm. 246 Seiten. C.H.Beck, 2023. * Mary Austin-Hunter. Wo wenig Regen fällt. Aus dem Amerikanischen von Alexander Pechmann. 224 Seiten. Jung und Jung, 2023.
2/21/202327 minutes, 38 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Schweizer Literatur

Die beiden Romane «Gesund genug» von Ursula Fricker und «Lieblingstochter» von Sarah Jollien-Fardel sind Thema am Literaturstammtisch im BuchZeichen auf SRF1. Die Tochter ahnt schon, was kommt, als bei ihr in Berlin das Telefon klingelt. Der Vater liegt zuhause in der Schweiz im Sterben – Darmkrebs im Endstadium. Ausgerechnet er, ein Gesundheitsfanatiker, der für die Krankheiten der anderen nur Häme übriggehabt hatte. Am Sterbebett des Vaters denkt die Tochter darüber nach, warum der Vater die Familie in eine Gesundheitssekte verwandelt hatte. Das ist der Ausgangspunkt in Ursula Frickers Roman «Gesund genug», den Franziska Hirsbrunner mit in die Sendung bringt. Nicola Steiner stellt den Roman «Lieblingstochter» von Sarah Jollien-Fardel vor. Ein Dorf im Wallis. Ein Familienvater, der seine Frau und die beiden Töchter schlägt, die ältere sexuell missbraucht. Die Frauen wehren sich nicht, aus gutem Grund. Das Dorf weiss, was vor sich geht, und schweigt. Aus diesem Trauma muss Jeanne ihren Weg finden. Doch schafft sie es, sich zu befreien? Der Roman der Walliser Autorin war im letzten Jahr für den Prix Goncourt nominiert und erhielt den Prix du Roman Fnac und dem Choix Goncourt de la Suisse 2022. Der Literatur-Tipp der Woche kommt von Michael Luisier. Anlässlich des 125. Geburtstags des Dichters und Dramatikers Bertolt Brecht am 10. Februar empfiehlt er, sich wieder einmal vertieft mit Brechts Werk zu beschäftigen. Buchhinweise: * Ursula Fricker. Gesund genug. 240 Seiten. Atlantis Verlag, 2022. * Sarah Jollien-Fardel. Lieblingstochter. 221 Seiten. Aufbau Verlag, 2023. * Bertolt Brecht. Unsere Hoffnung heute ist die Krise. Interviews 1926-1956. Herausgeber: Noah Willumsen. 750 Seiten. Suhrkamp Taschenbuch, 2023. * Bertolt Brecht. Gedichte über die Liebe. Ausgewählt von Werner Hecht. 240 Seiten. Suhrkamp Taschenbuch, 1984.
2/14/202326 minutes, 5 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Bücher von Virginie Despentes und Michael Köhlmeier

Die Bücher am Literaturstammtisch bergen Zündstoff: Virginie Despentes durchleuchtet die Absurditäten unserer Zeit. Michael Köhlmeier schildert eine konfliktgeladene Beziehung zwischen Enkel und Grossvater. Und Volker Ullrich analysiert das stürmische deutsche Krisenjahr 1923. Der Roman «Liebes Arschloch» von Virginie Despentes war im letzten Herbst ein Mega-Bestseller in Frankreich. Nun liegt das Buch auf Deutsch vor. Darin verhandelt die französische Autorin viele Themen unserer Zeit auf raffinierte, amüsante und kluge Weise. Es geht um sexuelle Übergriffe und verkrustete Machtstrukturen, um Alter und Schönheit, Drogen- und Suchtprobleme, die Corona-Pandemie, Klassenfragen und Mobbing in den sozialen Medien. Nicola Steiner stellt das Buch am Stammtisch vor und erklärt, warum sich auch im deutschen Sprachraum zweifelsohne viele darin wiederfinden werden. Michael Luisier bringt «Frankie», den neusten Roman des österreichischen Schriftstellers Michael Köhlmeier an den Stammtisch. Als Franks Grossvater nach 18jähriger Gefangenschaft aus dem Gefängnis entlassen wird, gerät das Leben des 14jährigen Teenagers durcheinander. Der alte Mann reisst den Jungen an sich, einmal tyrannisch, einmal zärtlich. Am Ende stehen sich die beiden auf einer Autobahnraststätte gegenüber wie bei einem Duell. Das Buch ist eine rasante Road Novel, in der es um Initiation, Rebellion und Befreiung geht. Und um die ewige Faszination des Bösen. Ruhrkrise, Hyperinflation, Hitler-Putsch – der renommierte deutsche Historiker Volker Ullrich widmet sein aktuelles historisches Sachbuch dem Jahr 1923. Es zählt zu den turbulentesten in der deutschen Geschichte. Felix Münger beeindruckt, wie «Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund» die sich überschlagenden Ereignisse von damals entwirrt, ihre gegenseitige Bedingtheit sichtbar macht und dabei ein auch für Laien verständliches historisches Panorama eröffnet. Buchhinweise: * Virginie Despentes. Liebes Arschloch. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger und Tatjana Michaelis. 336 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2023. * Michael Köhlmeier. Frankie. 200 Seiten. Hanser 2023. * Volker Ullrich. Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund. 441 Seiten. C.H.Beck 2022. Weitere Themen: - Briefe und Bücher
2/7/202328 minutes, 30 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: True Crime

Alex Capus Roman «Fast ein bisschen Frühling» geht auf den spektakulärsten Kriminalfall zurück, den Basel je gehabt hat. Andrea Maria Schenkels Roman «Der Erdspiegel» liefert ein Psychogram des Mädchenmörders Andreas Bichel und «Kaltblütig» von Truman Capote hat den Genre des True Crimes begründet. Alex Capus Roman «Fast ein bisschen Frühling» spielt in den Jahren 1933 / 34 und geht auf den spektakulärsten Kriminalfall zurück, den Basel je gehabt hat. Kurt Sandweg und Waldemar Velte, zwei arbeitslose Burschen, wollen aus Nazideutschland fliehen. Unterwegs überfallen sie eine Bank, töten einen Angestellten und stranden schliesslich in Basel. Dort verliebt sich einer von ihnen in eine Schallplattenverkäuferin im Warenhaus Globus. Tag für Tag kauft er bei ihr Tango-Platten, bis das Geld aufgebraucht ist und der nächste Banküberfall ansteht. Bis heute sind die Spuren des äusserst blutigen Falls in Basel zu sehen. Michael Luisier, der das Buch mit grossem Interesse gelesen hat, kann auch erzählen, wo diese zu finden sind. Mit ihrem Krimidebüt «Tannöd» gelang Andrea Maria Schenkel 2006 ein Riesenerfolg. In ihrem neusten Roman «Der Erdspiegel» erzählt Schenkel erneut von schauerhaften, historischen Mordfällen. In einem kleinen bayerischen Dorf um 1800 verschwinden nacheinander junge Frauen spurlos. Dass der Bichel etwas damit zu tun haben könnte, glauben vorerst die wenigsten. Er ist doch ein anständiger Mann, ein guter Nachbar und er redet wie ein Gelehrter. Aber der Bichel ist ein Menschenfänger und er weiss die Leichtgläubigkeit der Menschen, vor allem junger Frauen, auszunutzen. Ein True Crime, der überzeugt, findet Tim Felchlin, weil er die Psychologie eines Mörders und einer ganzen Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert ausbreitet. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König «Kaltblütig» von Truman Capote vor. Darin wird die Ermordung einer vierköpfigen Farmerfamilie rekonstruiert. Es ist ein Tatsachenroman, der mehr fesselt als ein Thriller. Capote hat damit nicht nur den New Journalism begründet, sondern auch den Genre True Crime. Buchhinweise: * Alex Capus. Fast ein bisschen Frühling. 190 Seiten. Residenz, 2002. Neuerscheinung Hanser, 2012. * Andrea Maria Schenkel. Der Erdspiegel. 192 Seiten. Kampa, 2023. * Truman Capote. Kaltblütig. Aus dem Amerikanischen von Kurt Heinrich Hansen. 480 Seiten. 36. Auflage. Rowohlt, 1975. * Truman Capote. Kaltblütig. Aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr. 544 Seiten. Kein & Aber, 2013.
1/31/202323 minutes, 13 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen: Ein hochaktueller Roman und eine magische Geschichte

In ihrem Briefroman zeigen Juli Zeh und Simon Urban zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen der Welt. Und Karin Smirnoff erzählt in ihrem neuen Buch von Düsternis – und was man ihr entgegenhalten kann. Bestseller-Autorin Juli Zeh wartet mit einem neuen Buch auf. Dafür hat sie sich mit einem anderen Schriftsteller, nämlich Simon Urban, zusammengetan. Entstanden ist ein moderner Briefroman in Form von Emails und Handy-Nachrichten, in denen sich eine brandenburgische Landwirtin und ein Hamburger Kulturjournalist über ihre Sicht auf die Welt austauschen – und die geht immer weiter auseinander. «Zwischen Welten» funktioniere erzählerisch nicht immer, findet Katja Schönherr. Jedoch sei der Roman ein hochaktuelles Abbild der Meinungsgräben in unserer Gesellschaft. Agnes ist das titelgebende «Wunderkind» in Karin Smirnoffs Roman. Sie spielt meisterhaft Klavier, denkt sich Symphonien aus und sie spricht mit Tieren. Aber Agnes lebt in keiner glücklichen Welt. Sie und ihre zwei Freunde erleben Mutterhass, Mobbing, Tod und sexuellen Missbrauch. Glück finden sie in der Musik. Und mit einem absurd lakonischen Blick auf die Welt entheben sie sich aus den Übeln ihrer Kindheit. Tim Felchlin staunt, wie die schwedische Autorin die Balance hält zwischen Düsternis, Galgenhumor und wundervoller Fantasie. Ein magischer Roman über das Böse der Welt. Im Roman «Die Liebe an miesen Tagen» erzählt der deutsche Autor Ewald Arenz von einer Beziehung zwischen zwei Menschen, die mitten im Leben stehen. Beide haben einander nicht gesucht – und doch gefunden. Offen und ungekünstelt gehen sie aufeinander zu und geniessen das unerwartete Glück. Und dann kommt das Leben dazwischen. Britta Spichiger stellt den Roman im heutigen Kurztipp vor. Ihr gefällt, dass Arenz ruhig und authentisch erzählt. Und wie er ganz nebenbei die Frage stellt, die wohl alle Paare beschäftigt: wie wichtig ist das «Ich»? Wie wichtig das «Wir»? Buchhinweise: * Juli Zeh, Simon Urban. Zwischen Welten. 480 Seiten. Luchterhand, 2023. * Karin Smirnoff. Wunderkind. Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein. 320 Seiten. Carl Hanser, 2023. * Ewald Arenz. Die Liebe an miesen Tagen. 379 Seiten. DuMont, 2023.
1/24/202327 minutes, 18 seconds
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Aktuelle Buchempfehlungen: Autofiktionales und Autobiographisches

Die Literaturstammtischrunde im SRF1 Buchzeichen bespricht das autofiktionale Buch «In einer dunkelblauen Stunde» des Schweizer Schriftstellers Peter Stamm und den autobiographischen Roman «Dry», die Alkoholsuchtgeschichte der deutschen Autorin Christine Koschmieder. Andrea will mit ihrem Team einen Dokumentarfilm über den Schriftsteller Richard Wechsler drehen. Die Dreharbeiten in Paris sind schon im Kasten, aber zu den Aufnahmen an seinem Heimatort in der Schweiz, taucht Wechsler nicht auf. Das Filmprojekt droht zu scheitern. Doch liegt nicht in jedem Scheitern ein Neuanfang? Ein Buch über die Geheimnisse des Lebens. Ungewohnt verspielt, sinnlich und tiefgründig, findet Annette König, die das Buch wie ein Zwiegespräch mit dem Schriftsteller empfunden hat, was sie gerne noch eine Weile länger fortgeführt hätte. In ihrem autobiographischen Roman «Dry» berichtet die deutsche Autorin Christine Koschmieder von ihrem Weg in die Alkoholsucht -- und aus ihr heraus. Mehrere Schicksalsschläge hat Koschmieder hinter sich. Ihr Mann ist früh gestorben. Jahrelang meistert sie ihren Alltag als berufstätige, alleinerziehende Mutter. Kurz: Sie funktioniert, Tag für Tag. Dem Druck hält sie aber nur mit Alkohol stand. In ihrem Buch rollt Koschmieder nun ihr Leben auf - schonungslos offen und ehrlich, ohne Larmoyanz. Ein überaus berührendes Buch, findet Literaturredaktorin Katja Schönherr. Der Buchtipp diese Woche stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt «Das Glück steht mir nicht im Weg – Komische Lyrik und anderes», das Buch der Liedermacherin und Kabarettistin Uta Köbernick. Buchhinweise: * Peter Stamm. In einer dunkelblauen Stunde. 256 Seiten. S. Fischer, 2023. * Christine Koschmieder. Dry. 250 Seiten. Kanon Verlag, 2022. * Uta Köbernick. Das Glück steht mir nicht im Weg. Komische Lyrik und anderes. 100 Seiten. edition merk würdig, 2022.
1/17/202320 minutes, 55 seconds
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Aktuelle Buchempfehlungen: Drei Definitionen von Glück

Die drei Bücher auf dem heutigen Literaturstammtisch erzählen unter anderem von einem glücklichen Geheimnis, der Herausforderung, wenn zwei Liebende aus ganz unterschiedlichen Welten kommen – und der Bedeutung von Erinnerungen. In seinem neuen autobiographischen Buch «Das glückliche Geheimnis» erzählt der in Wien lebende österreichische Erfolgsautor Arno Geiger von seinem langen Weg zur Schriftstellerei, von seinen alternden Eltern und von der grossen Liebe. Zudem lüftet er das Geheimnis, dass er über Jahrzehnte ein Doppelleben geführt hat: Er durchstreifte im Geheimen regelmässig die Stadt und durchwühlte Behältnisse für Altpapier - auf der Suche nach Briefen und anderen persönlichen Dokumenten wildfremder Menschen. Felix Münger beeindruckt die Offenheit, mit der Arno Geiger von seinem mit gesellschaftlicher Scham behafteten Tun erzählt. Das ihm aber auch den Zugang zu anderen Lebenswirklichkeiten eröffnete – und ihn als Künstler inspirierte. Die chinesische Autorin Xiaolu Guo thematisiert in ihrem Roman «Eine Sprache der Liebe» was geschieht, wenn zwei Liebende aufeinandertreffen, die aus unterschiedlichen Kulturen stammen: Eine junge Chinesin kommt nach London. Und verliebt sich in einen Australier mit britisch-deutschen Wurzeln. Neugier, Fremdheit und Missverständnisse prägen die Beziehung – aber auch die Chance einer gegenseitigen, neuen Heimat. Nicola Steiner bringt den Roman an den Literaturstammtisch. «Was bleibt, ist die Freude» - der spanische Autor Manuel Vilas erzählt in diesem Buch von den grossen Abwesenden in seinem Leben: den verstorbenen Eltern und den beiden erwachsenen Söhnen, die ihr eigenes Leben leben. Vilas blendet zurück in die Vergangenheit und lässt auch die kleinste Erinnerung glänzen. Trotzdem ist nichts unbelastet – die Depression des Autors ist allgegenwärtig. Den Hang zum Melodramatischen im Lauf der Geschichte verzeiht man ihm, findet Britta Spichiger. Denn die Lektüre zeigt auch, wie tröstlich Literatur sein kann. Buchhinweise: * Arno Geiger. Das glückliche Geheimnis. 237 Seiten. Hanser, 2023. * Xiaolu Guo. Eine Sprache der Liebe. Aus dem Englischen von Anne Rademacher. 304 Seiten. Penguin, 2022. * Manuel Vilas. Was bleibt, ist die Freude. Aus dem Spanischen von Astrid Roth. 400 Seiten. Berlin, 2022. Weitere Themen: - Bücher, in denen Grosseltern eine Hauptrolle spielen
1/10/202329 minutes, 10 seconds
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Aktuelle Buchempfehlungen: Drei Klassiker

Drei Werke der Weltliteratur am Literaturstammtisch im BuchZeichen auf SRF1: «Mrs. Dalloway» von Virginia Woolf, «Wem die Stunde schlägt» von Ernest Hemingway und «Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg» von Jaroslav Hašek. London 1923, ein Tag im Juni. Mrs. Clarissa Dalloway, Anfang 50 und verheiratet mit Richard Dalloway, gibt am Abend einen Empfang. Die ganze High Society der Stadt ist eingeladen, inklusive Premierminister. Doch vorher muss noch viel erledigt werden. Das ist der Ausgangpunkt des Romans «Mrs. Dalloway» von Virginia Woolf, der nun in einer neuen Übersetzung von Melanie Walz vorliegt. Erzählt wird aber keine Geschichte. Was den Roman sensationell macht, ist Virginia Woolfs Sprache – und die Splitter, Wahrnehmungen, Erinnerungen und Reflexionen, die sie zu einem Panorama der Gesellschaft nach dem ersten Weltkrieg zusammensetzt. Für Nicola Steiner, die das Buch mit in die Sendung bringt, ist dies einer der besten Romane des 20. Jahrhunderts. Liebe, Krieg und Tod. Die drei grössten Themen der Literatur verdichtet Ernest Hemingway in seinem monumentalen Roman «Wem die Stunde schlägt» aus dem Jahr 1940, den Tim Felchlin vorstellt. Im spanischen Bürgerkrieg kämpft der amerikanische Sprengstoffspezialist Robert Jordan zusammen mit einer Schar widerständiger Republikaner gegen die Faschisten Francos. Während drei Tagen bildet sich eine Schicksalsgemeinschaft, in der Jordan Liebe findet und Verrat erfährt. In seinem vielleicht bedeutendsten Roman verarbeitete Hemingway seine Erfahrungen als Kriegsreporter. Dabei bringt er die Ambivalenz zum Ausdruck, die jedem Krieg eigen ist und jede Generation aufrüttelt. Der Tipp der Woche stammt von Michael Luisier. Zum 100. Todestag Jaroslav Hašeks am 3. Januar 2023 stellt er dessen Klassiker in Sachen satirisch-humoristischer Literatur «Die Abendteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg» vor. Buchhinweise: * Virginia Woolf. Mrs. Dalloway. Neu übersetzt von Melanie Walz. 400 Seiten. Manesse, 2022. * Ernest Hemingway. Wem die Stunde schlägt. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. 624 Seiten. Rowohlt, 2022. * Jaroslav Hašek. Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg. Übersetzung aus dem Tschechischen, Kommentar und Nachwort von Antonín Brousek. 1008 Seiten. Reclam Bibliothek, 2014.
1/3/202327 minutes, 19 seconds
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Ein geheimes Hotel und ein betrunkener Berg

Zwei der Bücher auf dem heutigen Literaturstammtisch vermischen Reales und Irreales. Die deutsche Schriftstellerin Anne Köhler und der österreichische Schriftsteller Heinrich Steinfest erzählen in ihrem Romanen von Flucht aus dem eigenen Leben und Bewältigung der Vergangenheit. Ein geheimes Hotel für alle, die ihrem Alltag entfliehen wollen: Wer wünscht sich nicht hin und wieder an einen solchen Ort? Die deutsche Autorin Anne Köhler hat ein verstecktes Hotel zum Thema ihres Buches «Nicht aus der Welt» gemacht. Ein wunderbarer Schmöker! Wenn es dieses Hotel schon leider nicht «in echt» gibt, so kann man wenigstens in diesem Roman eine Auszeit finden, lobt Katja Schönherr. Der österreichische Schriftsteller Heinrich Steinfest vermischt auch in seinem neuen Roman «Der betrunkene Berg» Reales und Irreales. Schauplatz ist unter anderem eine Buchhandlung auf 1800 Meter über Meer. Steinfest erzählt von drei Menschen, die mit der Bewältigung ihrer Vergangenheit konfrontiert sind, aber auch Hoffnung auf Rettung haben. Michael Luisier bringt das Buch an den Literaturstammtisch. Im Roman «People Person» nimmt die britische Schriftstellerin Candice Carty-Williams die Leserschaft mit in ein turbulentes Familienleben. Fünf Kinder - mit einem gemeinsamen Vater, aber vier unterschiedlichen Müttern – raufen sich zusammen. Carty-Williams erzählt bildhaft und präzis vom Alltag der Schwarzen Community in London. Und spricht dabei aktuelle gesellschaftliche Probleme an: Rassismus, Sexismus, Polizeigewalt. Die Unmittelbarkeit des Erzähltons ist die grosse Qualität des Romans, findet Britta Spichiger. Buchhinweise: * Anne Köhler. Nicht aus der Welt. 352 Seiten. DuMont Buchverlag, 2022. * Heinrich Steinfest. Der betrunkene Berg. 224 Seiten. Piper Verlag, 2022. * Candice Carty-Williams. People Person. 430 Seiten. Blumenbar Verlag, 2022.
12/27/202224 minutes, 52 seconds
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Historisch und kriminalistisch: Aktuelle Buchempfehlungen

Zwei Schweizer Autoren sind Thema am Literatur-Stammtisch im BuchZeichen. Zum einen Lukas Hartmann mit seinem historischen Roman «Ins Unbekannte - Die Geschichte von Sabina und Fritz», zum anderen Raphael Zehnder mit seinem neusten Krimi «Müller und der Himmel über Basel». Im Roman «Ins Unbekannte» verknüpft der Bestsellerautor Lukas Hartmann die Lebensgeschichten der Psychoanalytikerin Sabina Spielrein und des Schweizer Kommunisten Fritz Platten. Beide erleiden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Sowjetunion ein grässliches Los. Die Wege der zwei historischen Figuren haben sich nur einmal gekreuzt. Dennoch gelinge es Lukas Hartmann die Geschichten der beiden originell aufeinander zu beziehen, findet Felix Münger. Einmal mehr bereite der Berner Autor ein historisches Thema literarisch attraktiv auf. Die Gesellschaft ist aus dem Lot, auch in Basel. Nicht bloss wegen der seltsamen Serie von Angriffen auf Wirtschaftsbosse und von rabiaten Alten an der Supermarktkasse. Kommissär Müller beobachtet in seinem neunten Fall besorgt, wie Medienmechanismen, Machtstrukturen und Bürokratie immer monströser werden. Gesellschaftskritik, gewiss. Aber selten kommt sie so spielerisch, zitatenreich und ironisch-gelehrt daher. Eine meisterhafte literarische Satire, findet Literaturredaktor Markus Gasser. Der Tipp dieser Woche kommt heute von Michael Luisier. Er empfiehlt «Die Philosophie des modernen Songs» von Bob Dylan, Dylans persönliche Auswahl seiner 66 Lieblingssongs. Buchhinweise: * Lukas Hartmann. Ins Unbekannte - Die Geschichte von Sabina und Fritz. 288 Seiten. Diogenes, 2022. * Raphael Zehnder. Müller und der Himmel über Basel. 303 Seiten. emons, 2022. * Bob Dylan. Die Philosophie des modernen Songs. Aus dem Englischen von Conny Lösch. 350 Seiten. CH Beck, 2022.
12/20/202224 minutes, 21 seconds
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Die dunklen Seiten des Alltags

Jennie Fields erzählt von einer Wissenschaftlerin, die sich zwischen Herz und Gewissen entscheiden muss. Heinz Helle grübelt in seinem journalistischen Selbstbekenntnis über die dunkle Seite seines Mann-Seins. Und Sayaka Muratas beunruhigt nachhaltig mit zwölf makabren Kurzgeschichten. Chicago 1950: Rosalind ist eine starke, unabhängige Frau. Und eine herausragende Wissenschaftlerin, die am Bau der Atombombe mitbeteiligt war. Traumatisiert von den Auswirkungen ihrer Arbeit, hat sie sich ein neues Leben aufgebaut. Aber die Vergangenheit holt sie ein. In ihrem Roman «Die Unteilbarkeit der Liebe» erzählt die US-amerikanische Autorin Jennie Fields von einer Frau, die sich zwischen Herz und Gewissen entscheiden muss. Authentisch, mitreissend und atmosphärisch dicht. Gute Unterhaltungsliteratur, die einen abtauchen lässt, findet Britta Spichiger. Er ist Schriftsteller, Ehemann und zweifacher Vater. Und in jeder seiner Rollen stellt er sich selbst infrage. «Wellen» von Heinz Helle ist eine journalartige Selbsterkenntnis – irgendwo zwischen intimer Autobiographie und Fiktion. Inmitten voller Windeln und Playmobilfiguren grübelt der Ich-Erzähler über Vaterschaft und die dunklen Seiten seines Mann-Seins. Und immer wieder findet er Halt und Zärtlichkeit im Familienalltag. Tim Felchlin bringt den Roman an den Stammtisch. Er ist berührt von der Aufrichtigkeit, mit der Heinz Helle von den Ängsten, Unsicherheiten und Sehnsüchten eines sogenannt modernen Mannes erzählt. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König «Zeremonie des Lebens» von Sayaka Murata vor. Der Sammelband umfasst zwölf kluge Storys über das heutige Japan, die in einer beunruhigenden Fantasiewelt angesiedelt sind. In einer Welt in der Menschen nach ihrem Tod als Material zu Nutzungsobjekten verwertet werden. Doch ist eine solche Form von Nachhaltigkeit mit unseren ethischen Grundsätzen zu vereinbaren? Für alle Liebhaber:innen von schrägen Geschichten, die gerne über Tabu-Brüche nachdenken. Buchhinweise: * Jennie Fields. Die Unteilbarkeit der Liebe. Aus dem Amerikanischen von Veronika Dünninger. 416 Seiten. Penguin, 2022. * Heinz Helle. Wellen. 284 Seiten. Suhrkamp, 2022. * Sayaka Murata. Zeremonie des Lebens. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. 286 Seiten. Aufbau, 2022.
12/13/202223 minutes, 12 seconds
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Eine junge Schweizer Autorin und der wichtigste taiwanische Autor

Im heutigen BuchZeichen treffen Welten aufeinander. Realität und Fantasie verschwimmen. Und doch thematisieren die vorgestellten Bücher brandaktuelle Themen. Die Schweizer Autorin Anja Schmitter erzählt in ihrem Debütroman «Leoparda» eine beklemmende Geschichte: eine junge Frau verwandelt sich in ein leopardenähnliches Wesen. Simon Leuthold bringt den Roman über Ausbruch aus der Normalität, Suche nach Identität und Emanzipation an den Stammtisch. Taiwans wichtigster Autor Wu Ming-Yi ist im deutschsprachigen Raum bislang nahezu unbekannt. Katja Schönherr findet, das sollte sich unbedingt ändern. Denn sein Roman «Der Mann mit den Facettenaugen» sei ein beeindruckender Roman über Umweltverschmutzung und Klimawandel. Es geht um eine gigantische Ansammlung aus Plastikmüll, die an die Küste Taiwans gespült wird. In ihrem Kurzgeschichtenband «Hotel in Seattle» stellt die US-amerikanische Autorin Lily King Kinder und Jugendliche ins Scheinwerferlicht. Sie kommen oft aus Familien, die mit Trennungen oder Schicksalsschlägen konfrontiert sind. King zeigt einfühlsam und plausibel, dass schwierige Situationen nicht nur von Trotz und Trauer, sondern auch von Trost begleitet sein können. Britta Spichiger stellt das Buch als Kurztipp vor. Buchhinweise: * Anja Schmitter. Leoparda. 226 Seiten. Lenos, 2022. * Wu Ming-Yi. Der Mann mit den Facettenaugen. Aus dem Chinesischen von Johannes Fiederling. 317 Seiten. Matthes und Seitz, 2022. * Lily King. Hotel Seattle. Aus dem Englischen von Hanna Hesse. 252 Seiten. C.H. Beck, 2022.
12/6/202228 minutes, 57 seconds
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Ein verschollener Autor und ein grässliches Verbrechen

Hoch aktuelle Bücher am Literatur-Stammtisch: Mohammed Mbougar Sarr thematisiert Fragen des Rassismus und der kulturellen Aneignung, Monika Fagerholm Gewalt gegen Frauen und Manfred Hildermeier Russlands Rolle in der Geschichte. «Die geheimste Erinnerung der Menschen» erzählt von einem Autor, der verschollen ist. Der Roman ist ein sprachlich virtuoser Mix aus Kriminalgeschichte und Bildungsroman, der sich kritisch mit dem Erbe des Kolonialismus auseinandersetzt. Der Senegalese Mohammed Mbougar Sarr hat für das Werk in Frankreich den renommierten Prix Goncourt 2021 erhalten. Annette König ist beeindruckt: «Dieser Roman enthält wunderschöne Passagen über die Liebe, das Leben und die Suche nach Wahrheit, die die Essenz unseres Lebens ist.» Ein Jugendlicher aus gutem Haus vergewaltigt mit seinen Kumpels stundenlang seine Ex-Freundin. Ausgehend von diesem brutalen Racheakt erzählt die finnlandschwedische Erfolgsautorin Monika Fagerholm in ihrem preisgekrönten Roman «Wer hat Bambi getötet?», wie Muster der Gewalt eine ganze Gesellschaft versehren. Franziska Hirsbrunner stellt diesen Roman vor. Er erzählt von Mustern der Gewalt, die tief in der Gesellschaft verankert sind - und die nicht nur Frauen, sondern auch Männer versehren. Ein Buch zur Stunde sei das Geschichtswerk «Die rückständige Grossmacht – Russland und der Westen» des Osteuropa-Historikers Manfred Hildermeier, sagt Felix Münger. Das historische Sachbuch zeichnet die wechselhafte Beziehung Russlands zum Westen nach. Sie war in der über tausendjährigen Geschichte Russlands sowohl von Konfrontation und Abwehr gegenüber dem Westen geprägt, aber auch von Phasen der Hinwendung. Aus historischer Perspektive besteht damit die Hoffnung, dass auch das heutige Russland wieder zu einem anderen Umgang mit dem Westen finden wird. Buchhinweise: * Monika Fagerholm. Wer hat Bambi getötet? Aus dem Schwedischen von Antje Rávik Strubel. 256 Seiten. Residenz-Verlag 2022 * Manfred Hildermeier. Die rückständige Grossmacht. Russland und der Westen. 271 Seiten. C.H.Beck 2022 * Mohamed Mbougar Sarr. Die geheimste Erinnerung der Menschen. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. 448 Seiten. Hanser 2022
11/29/202227 minutes, 56 seconds
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Aktuelle Bücherempfehlungen - Was ist uns wirklich wichtig?

Gleich drei aktuelle Romane verhandeln diese alte Frage neu: Elisa Shua Dusapin in «Die Pachinko-Kugeln», einer Geschichte über Freundschaft, Celeste Ng im dystopischen Roman «Unsre verschwundenen Herzen» und Hanna Bervoets «Dieser Beitrag wurde entfernt» über die toxische Wirkung von Social Media. Die Schweizer Autorin Elisa Shua Dusapin erregte mit ihrem Erstling «Winter in Sockcho» viel Aufmerksamkeit. Annette König, die sich für die Autorin begeistert, bringt deren mit Spannung erwarteten zweiten Roman an den Literaturstammtisch. Der Roman «Die Pachinko-Kugeln» erzählt die Geschichte einer jungen Schweizerin auf der Suche nach ihren ostasiatischen Wurzeln. Und vom Zauber einer ungewöhnlichen Freundschaft über die Generationen hinweg. «Unsre verschwundenen Herzen», der neue Roman der US-amerikanischen Autorin Celeste Ng, erzählt von einer in der Zukunft lebenden Familie, deren Leben vom Rassismus des herrschenden autokratischen Regimes bestimmt wird. Die Mutter kämpft dagegen an – mit Hilfe der Literatur, und bezahlt für ihren Widerstand einen hohen Preis. Allerdings bezahlt die Familie einen hohen Preis. Britta Spichiger gefällt, wie Celeste Ng mit poetischer, zarter Sprache in ein Familienleben eintaucht und gleichzeitig grundlegende moralische Fragen stellt. Von gefährlichen Mechanismen hinter den Kulissen der sozialen Medien geht es im Kurzroman «Dieser Beitrag wurde entfernt» der Niederländerin Hanna Bervoets. Die junge Heldin des Buchs arbeitet als Content-Moderatorin bei einem ungenannten Social-Media-Unternehmen: Sie muss Beiträge löschen, die gegen die Richtlinien verstossen. Felix Münger überzeugt am Roman, dass er subtil nachzeichne, wie sich die Wahrnehmung der Protagonistin in Bezug auf Gewalt, Rassismus oder Pornografie kontinuierlich verschiebt. Die Figur ist diesen Abgründen bei der Arbeit dauernd ausgesetzt – und droht den moralischen Kompass zu verlieren. Buchhinweise: * Hanna Bervoets. Dieser Beitrag wurde entfernt. Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. 107 Seiten. Hanser Berlin, 2022 * Elisa Shua Dusapin. Die Pachinko-Kugeln. Aus dem Französischen von Andreas Jandl. 144 Seiten. Blumenbar, 2022 * Celeste Ng. Unsre verschwundenen Herzen. Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit. 400 Seiten. dtv, 2022
11/22/202227 minutes, 27 seconds
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Vorschau auf den Schweizer Buchpreis 2022

Die BuchZeichen-Stammtischrunde bespricht die für den Schweizer Buchpreis nominierten Bücher von Kim de l Horizon, Simon Froehling, Lioba Happel, Thomas Hürlimann und Thomas Röthlisberger. Wer gewinnt den Schweizer Buchpreis 2022? Ist es Thomas Hürlimann, dem mit «Der Rote Diamant» eine Mischung aus Internatsroman, Klosterkrimi und ironischem Abgesang auf eine vergangene Zeit geglückt ist, oder ist es Kim de l Horizons Kindheitserinnerung «Blutbuch», die sprachlich wie inhaltlich neue Wege geht und bereits mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde? Oder sorgt die Jury für eine Überraschung, indem sie sich für Simon Froehlings «Dürrst», Thomas Röthlisbergers «Steine zählen» oder Lioba Happels «POMMFRITZ aus der Hölle» entscheidet? Die literarische Stammtischrunde stellt die fünf Bücher nochmals vor und diskutiert deren Chancen. Kim de l Horizon. Blutbuch. 336 Seiten. Dumont, 2022. Simon Froehling. Dürrst. 266 Seiten. Bilgerverlag, 2022. Thomas Hürlimann. Der Rote Diamant. 320 Seiten. S. Fischer Verlag, 2022. Lioba Happel. POMMFRITZ aus der Hölle. 136 Seiten. Edition pudelundpinscher, 2021. Thomas Röthlisberger. Steine zählen. 176 Seiten. Bücherlese, 2022.
11/15/202224 minutes, 46 seconds
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Ernaux, Jachina, Supino: Literatur aus Frankreich, Russland und der Schweiz

Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux schreibt einen berührenden Brief an ihre verstorbene Schwester. Die russische Autorin Gusel Jachina befasst sich mit den Abgründen der sowjetischen Vergangenheit. Und der Schweizer Franco Supino geht auf Spurensuche nach Neapel. «Das andere Mädchen» von Annie Ernaux ist ein autofiktionaler Brief der Autorin an ihre verstorbene Schwester, die sie aber nie kennengelernt hat. Ernaux erfuhr als Kind nur zufällig davon, dass es diese «andere Mädchen» einst gegeben hat. In ihrem Buch zeigt die Nobelpreisträgerin einmal mehr ihr grosses Können, auf wenigen Seiten Gedanken, um Gedanken zu sezieren, findet Katja Schönherr, die das Buch an den Literaturstammtisch mitbringt. Kasan 1923. Im Wolgagebiet herrscht Hunger. Dejew, ein ehemaliger Rotarmist, soll 500 verwahrloste Waisenkinder nach Samarkand schaffen, um sie vor dem Hungertod zu retten. Aber es fehlt an allem. Proviant, Kleidung, Medikamente. Nach «Suleika öffnet die Augen» und «Wolgakinder» legt Gusel Jachina einen dritten Roman vor, der sich mit den Abgründen früher sowjetischer Geschichte befasst. Ein Beitrag zu einer Aufarbeitung, die, konsequenter betrieben, heute vielleicht eine andere Politik in Russland zur Folge hätte als die momentane, sagt Michael Luisier, der den Roman vorstellt. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den neuen Roman «Spurlos in Neapel» von Franco Supino vor. Jahre nach dem Tod des Vaters begibt sich der Erzähler auf Spurensuche nach Neapel. Er will endlich die Stadt kennenlernen, deren Sprache er spricht. Bei seinen Erkundungen stösst er auf die geheimnisvolle Geschichte eines schwarzen Camorrista, die ihn in Bann zieht. Buchhinweise: Annie Ernaux. Das andere Mädchen. Aus dem Französischen von Sonja Finck. 70 Seiten. Suhrkamp, 2022. Gusel Jachina. Wo vielleicht das Leben wartet. Aus dem Russischen von Helmut Ettinger. 591 Seiten. Aufbau, 2022.. Franco Supino. Spurlos in Neapel. 250 Seiten. Rotpunkt, 2022.
11/8/202227 minutes
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Andreas Schäfer und Karen Duve: Der Sohn und die Kaiserin

Dieses BuchZeichen steht im Zeichen der Spurensuche: Der deutsche Autor Andreas Schäfer nähert sich seinem Vater literarisch an, die deutsche Autorin Karen Duve zeigt die einstige österreich-ungarische Kaiserin Sisi als reife Frau. Der Schriftsteller und Journalist Andreas Schäfer nimmt Abschied von seinem Vater, der ihm immer etwas fremd war. Ein berührendes Vaterbuch, das einen Frieden entdeckt, den es vor dem Tod des Vaters nie gab. Franziska Hirsbrunner bringt «Die Schuhe meines Vaters» an den Literaturstammtisch. In ihrem Roman «Sisi» zeigt die Autorin Karen Duve die österreichische Kaiserin in neuem Licht. Nach 20 Jahren Ehe hat sich Sisi ihre Schlupflöcher gesucht, um dem langweiligen Leben am Hof ein wenig Abenteuer entgegenzusetzen: Reisen und Reiten. Bis heute wird Sisi für ihre wilden Reitjagden bewundert. Duve zeigt eine Kaiserin zwischen Konventionen und Selbstbestimmung. Nicola Steiner stellt den Roman vor. Im heutigen Kurztipp empfiehlt Britta Spichiger den Roman «Verbrenn all meine Briefe». Der schwedische Autor Alex Schulman erzählt darin die erschütternde Beziehungsgeschichte seiner Grosseltern. Einfühlsam, ohne Pathos und ohne zu richten, zeigt er, wie Traumata von Generation zu Generation vererbt werden können. Buchangaben * Andreas Schäfer. Die Schuhe meines Vaters. 208 Seiten. DuMont, 2022. * Karen Duve. Sisi. 406 Seiten. Galiani Berlin, 2022. * Alex Schulman. Verbrenn all meine Briefe. 304 Seiten. dtv, 2022.
11/1/202227 minutes, 8 seconds
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Nobelpreisträger & Debütantin: Abdulrazak Gurnah & Fabienne Maris

Auf dem Literaturstammtisch liegen heute zwei aussergewöhnliche Bücher. «Nachleben» des letztjährigen Literaturnobelpreisträgers Abdulrazak Gurnah und «Hitzewelle» der Schweizer Autorin Fabienne Maris. Brütende Hitze. Kein Strom. Kein Wasser. Aus dem Kühlschrank weht fauliger Geruch. Doch dieser aussergewöhnlich heisse Sommer hat auch sein Gutes. Ausgelöst durch den Ausnahmezustand, taut der langweilige Eigenbrötler Jonathan so langsam auf. Mit «Hitzewelle» ist Fabienne Maris ein ganz zauberhaftes Schweizer Debüt gelungen, findet Katja Schönherr.  Rassismus und Gräueltaten ohne Ende: Im Roman «Nachleben» zeichnet der Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah ein ungeschminktes Bild der deutschen und britischen Herrschaft in Ostafrika zur Zeit von Kolonialismus und Imperialismus. Der aus Tansania stammende Autor erzählt konsequent aus der Sicht von Afrikanerinnen und Afrikaner - vom entsetzlichen Gebaren der Europäer, aber auch von Sehnsucht der Menschen nach Liebe und Geborgenheit. Für Felix Münger ist «Nachleben» sei ein eindrucksvolles Epos. Um Geschwisterbeziehungen, psychische Krankheit und Traumata, die weitervererbt werden, geht es im neuen Roman von Rebecca Wait. Schwere Themen, mit Leichtigkeit erzählt, findet Britta Spichiger. Sie empfiehlt «Meine bessere Schwester» im heutigen Kurztipp. Unter anderem auch, weil er zeigt, wie wenig es oft braucht, um jemanden zu verletzen – oder jemandem zu zeigen, wie sehr man ihn/sie liebt. Buchhinweise: * Fabienne Maris. Hitzewelle.150 Seiten. Atlantis Verlag, 2022.  * Abdulrazak Gurnah: Nachleben, übersetzt von Eva Bonné. 384 Seite. Penguin, 2022. * Rebecca Wait. Meine bessere Schwester. Übersetzt von Ann-Christin Kramer. 510 Seiten. Kein & Aber, 2022.
10/25/202228 minutes, 34 seconds
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Neue Bücher von Ferdinand von Schirach, Steffen Schroeder und Brigitte Helbling

Ferdinand von Schirach erzählt in «Nachmittage» von der Vielfalt menschlicher Leidenschaften. Steffen Schroeder widmet sich in «Planck» zwei grossen Physikern und ihren Zwangslagen. Und Brigitte Helbling kommt mit ihrem Roman dem Wunsch ihrer Schwiegermutter nach, ein Buch über sie zu schreiben. Ferdinand von Schirach verbringt seine Nachmittage in japanischen Hotelbars, französischen Gärten und italienischen Villen. An diesen und anderen Orten rund um den Globus spielen die 26 kleinen Geschichten in «Nachmittage». Mal handelt es sich bei den Erzählungen um moderne Parabeln, mal sind es gewitzte Gedankenblitze. Und jede dieser Geschichten ist wie ein Stück Schokolade am Nachmittag, findet Tim Felchlin. Max Planck und Albert Einstein – von diesen beiden grossen Physikern erzählt der deutsche Autor Steffen Schroeder in seinem Roman «Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor». Das Buch spielt in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs, Einstein ist im US-Exil, Planck in Hitler-Deutschland. Für Felix Münger macht das Buch die scheinbar unnahbaren grossen Geister nahbar und zeigt dabei auch deren fragwürdige Seiten: Während Einstein etwa seinen an Schizophrenie leidenden Sohn im Zürcher «Burghölzli» schmachten lässt, versucht Planck den Seinen von Hitlers Schergen zu retten. Im heutigen Kurz-Tipp stellt Annette König die Familiensaga «Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich» von Brigitte Helbling vor. Darin schildert die Schweizer Autorin auf süffige Art und Weise wie ihre Vorfahren und auch sie selbst in Zürich die grosse Liebe finden. Buchhinweise: * Ferdinand von Schirach. Nachmittage. 176 Seiten. Luchterhand, 2022.  * Steffen Schroeder. Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor. 312 Seiten. Rowohlt Berlin, 2022. * Brigitte Helbling. Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich. 224 Seiten. Rüffer & Rub, 2022.
10/18/202227 minutes, 16 seconds
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Aktuelle Buchempfehlungen: Tomi Obaro und Christian Baron

Die US-nigeranische Autorin Tomi Obaro erzählt von einer lebenslangen Frauenfreundschaft, der deutsche Autor Christian Baron von den 1970er in Deutschland. Die beiden Romane «Freundin bleibst du immer» und «Schön ist die Nacht» liegen heute auf dem Literaturstammtisch. Den Bucheinband zu dem Roman «Freundin bleibst du immer» hält Katja Schönherr für einen der schönsten des aktuellen Herbstprogramms. Aber nicht nur das Cover hat sie überzeugt, sondern auch der Inhalt: Mit «Freundin bleibst du immer» habe die US-nigerianische Autorin Tomi Obaro einen Debütroman geschrieben, der eine besondere Frauenfreundschaft feiert. Auch in seinem zweiten Roman «Schön ist die Nacht» widmet sich der Autor Christian Baron dem Thema Klasse. Diesmal erzählt er von seinen beiden Grossvätern, die in den siebziger Jahren in Deutschland ein hartes Leben als Arbeiter führen, um ihre Familie durchzubringen. Der eine immer darum bemüht, anständig zu bleiben, während sein bester Freund ihn immer wieder über den Tisch zieht. Ein wichtiges Buch, findet Nicola Steiner, um sich wieder einmal mit den Gesetzen unserer Klassengesellschaft zu befassen. Im Kurztipp stellt Britta Spichiger den neuen Roman «Ein Mann mit vielen Talenten» vor. Der lustlose, vor sich hindämmernde Taft bekommt von einem Handlanger des Teufels ein verlockendes Angebot: Während eines halben Jahres darf er sich jeden Wunsch erfüllen. Aber er nutzt diese Möglichkeit ganz anders als man denkt. Dr. Faust wird zum rettenden Engel. Der US-amerikanische Schriftsteller Castle Freeman zeigt einmal mehr, dass er mit viel Humor und spitzer Feder lustvoll fabulieren kann. Buchhinweise: * Tomi Obaro. Freundin bleibst du immer. Übersetzt von Stefanie Ochel. Hanserblau 2022. 320 Seiten. * Christian Baron. Schön ist die Nacht. Claassen 2022. 384 Seiten. * Castle Freeman. Ein Mann mit vielen Talenten. Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser 2022. 160 Seiten. Weitere Themen: - Neue Krimis für Kinder und Jugendliche
10/11/202225 minutes, 52 seconds
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Aktuelle Buchempfehlungen: Leïla Slimani und Lorenz Langenegger

Marokko in seiner Zerrissenheit zwischen kolonialem Erbe und autoritärer Monarchie in Leïla Slimanis Roman «Schau, wie wir tanzen» und die Umbrüche im Leben eines Mannes in Lorenz Langeneggers «Was man jetzt noch tun können» – dies die Themen im BuchZeichen. «Schaut, wie wir tanzen» von Leïla Slimani ist der zweite Teil einer Romantrilogie, die auf Slimanis eigener Familiengeschichte beruht. Im Sommer 1968 kehrt Aïcha nach vier Jahren Medizinstudium in Strassburg nach Marokko zurück. Zu Hause trifft sie auf eine Familie, die in Auflösung begriffen ist. Doch die Begegnung mit einem jungen Wirtschaftsstudenten stellt sie vor ein Dilemma. Soll sie dieser Liebe nachgeben? Denn Aïcha träumt von einem unabhängigen Leben. Ein Lesegenuss, findet Annette König. Manuel, die Hauptfigur in Lorenz Langeneggers Roman «Was man jetzt noch tun kann» ist einer, der am Schreibtisch sitzt und sich fragt, was das Leben noch bringt. Dann erreicht ihn die Nachricht vom plötzlichen Tod seines Vaters. Manuel muss sein Elternhaus ausräumen, eine bankrotte Firma für Schlüssel auflösen und irgendwie drei Tonnen Rohschlüssel loswerden. Darin steckt der Versuch eines Neuanfangs, den der Schweizer Autor Lorenz Langenegger warmherzig und mit Achtsamkeit für das Alltagsglück erzählt. Ein Buch über einen Durchschnittstypen, das weit über literarischem Durschnitt liegt, sagt Tim Felchlin. Der Tipp der Woche kommt heute von Michael Luisier. Er empfiehlt Hans ten Doornkaats Mundartgedichtesammlung «Tschäderibumm – Mundartgedichte für Kinder von 45 Autor:innen». Buchhinweise: Leïla Slimani. Schaut, wie wir tanzen. 384 Seiten. Luchterhand, 2022. Lorenz Langenegger. Was man jetzt noch tun kann. 272 Seiten. Jung und Jung, 2022. Hans ten Doornkaat (Hrsg.) Tschäderibumm - Mundartgedichte für Kinder von 45 Autor:innen. Illustriert von Elena Knecht. 190 Seiten. Der gesunde Menschenversand, 2022.
10/4/202221 minutes, 46 seconds
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Neue Bücher von Alain Claude Sulzer und Daniela Dröscher

Der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer schreibt in seinem neuen Roman «Doppelleben» über die Brüder Goncourt. Detailreich und empathisch. Die deutsche Autorin Daniela Dröscher erzählt in ihrem neuen Roman eine persönliche Familientragödie. Bildhaft und erschütternd. Michael Luisier kommt mit Alain Claude Sulzers Roman «Doppelleben» in die Sendung. Darin werden die Brüder Jules und Edmond de Goncourt beschrieben, die mit ihren Romanen und einem 7000 Seiten starken Tagebuch bedeutende Spuren im Paris des 19. Jahrhunderts hinterlassen. Sulzer erzählt aber einen sehr viel persönlicheren Teil ihres Lebens: das Sterben des jüngeren Bruders an Syphilis und das Zurückbleiben des älteren. Und er erzählt das Drama der Haushälterin Rose, die schwanger wird, ein Kind bekommt, das Kind verliert und zu trinken anfängt, ohne dass die Brüder etwas merken. Erst nach ihrem Tod schreiben sie einen Roman über sie, der eine neue Literaturgattung begründet: den Naturalismus. In «Lügen über meine Mutter» beschreibt Daniela Dröscher die desolate Ehe ihrer Eltern. Jahrelang das beherrschende Thema innerhalb der Familie: das Körpergewicht der Mutter. Er wolle eine «vorzeigbare Frau» haben, sagt der Vater wieder und wieder. Alles, was ihm misslingt, führt er auf das Gewicht seiner Gattin zurück. Ein packendes und vor allem formal sehr interessantes autofiktionales Werk, findet Katja Schönherr. Im heutigen Kurztipp stellt Britta Spichiger das Buch «Krawall und Kekse» vor. Die US-amerikanische Autorin Shirley Jackson – in erster Linie bekannt als Verfasserin von Horrorgeschichten – erzählt darin von ihrem turbulenten Familienleben. Der wiederaufgelegte Roman aus dem Jahr 1953 ist beste Unterhaltung für alle, die wissen, wie es sich anfühlt, wenn man mitten in der Nacht barfuss auf einen Legostein tritt. Jackson zeigt sich aber nicht nur als humorvolle Erzählerin, sondern auch als kritische Frau, die sich mit konventioneller Rollenverteilung auseinandersetzt. Buchhinweise: * Daniela Dröscher. Lügen über meine Mutter. 440 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2022. * Alain Claude Sulzer. Doppelleben. 304 Seiten. Galiani Berlin, 2022. * Shirley Jackson. Krawall und Kekse. Aus dem Englischen von Nicole Seifert. 256 Seiten. Arche Verlag, 2022.
9/27/202226 minutes, 49 seconds
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Neue Bücher von Behzad Karim Khani und Judith Holofernes

Die Migrantengeschichte «Hund Wolf Schakal» von Behzad Karim Khani und die Autobiografie der Sängerin und Gitarristin Judith Holofernes («Wir sind Helden») sind Thema am literarischen Stammtisch im BuchZeichen auf SRF1. Dazu die Schweizerdeutsche Fassung eines Weltbestsellers aus den 50er Jahren. Das Romandebüt «Hund Wolf Schakal» des iranischen Journalisten Behzad Karim Khani, das Nicola Steiner mit in die Sendung bringt, erzählt von einem schwierigen Jungen mit einer schwierigen Kindheit in Berlin. Nach dem Tod der Mutter während der Wirren der islamischen Revolution fliehen Saam und sein jüngerer Bruder mit dem Vater nach Deutschland. Im Immigranten-Milieu Berlin-Neukölln müssen sie eine neue Heimat finden. Dabei lernen die beiden Jugendlichen vor allem schnell die Gesetze der Strasse mit all ihrer Rohheit und Unbarmherzigkeit kennen. Judith Holofernes ist eine der erfolgreichsten deutschen Musikerinnen der vergangenen Jahre. Als Sängerin und Gitarristin der Band «Wir sind Helden» füllte sie Anfang der Nuller Jahre ganze Stadien. Jetzt hat Holofernes eine Autobiographie geschrieben, in der sie ihren Abschied aus dem Musikbetrieb schildert. Das Buch «Die Träume anderer Leute» liest sich als die Geschichte einer Befreiung, findet Katja Schönherr, die das Buch im «BuchZeichen» vorstellt. Der Buchtipp der Woche kommt von Michael Luisier und ist für einmal ein Mundart-Werk: «Der alt Maa und s Meer», Heinz Wegmanns zürichdeutsche Übersetzung der preisgekrönten Erzählung «The old Man and the Sea» von Ernest Hemingway. Behzad Karim Khani: «Hund Wolf Schakal». 288 Seiten. Hanser Berlin, 2022. Judith Holofernes: «Die Träume anderer Leute». 400 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2022. Ernest Hemingway: «Der alt Maa und s Meer. Züritüütsch vom Heinz Wegmann mit Bilder vo de Verena Pavoni». 120 Seiten. Edition apropos, 2022.
9/20/202225 minutes, 33 seconds
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Neue Bücher von Lukas Maisel, Simon Froehling, Edouard Louis

Lukas Maisel beschreibt in «Tanners Erde» wie ein Bauer vor dem Nichts steht. Simon Froehling erzählt in «Dürrst» von den Nöten einer bipolaren Störung. Und Édouard Louis reflektiert in «Anleitung ein anderer zu werden» was er hinter sich lassen muss, um als Schwuler akzeptiert zu sein. Einem Landwirt widerfährt Abstruses: Auf seinem Land öffnen sich plötzlich gigantische mysteriöse Löcher. Sie verunmöglichen die Bewirtschaftung und stellen den Landwirt vor das Nichts. Die Löcher ziehen ihn in den Abgrund. Davon erzählt der Schweizer Autor Lukas Maisel in seiner Novelle «Tanners Erde». Felix Münger ist beeindruckt von der kunstvollen Sprache und der vielschichtigen Metaphorik des Buchs. Andreas Durrer alias Dürrst lebt exzessiv. Eine bipolare Störung hält ihn fest im Griff und Drogennächte und schnelle Sexbekanntschaften prägen sein Leben in der Kunst- und Schwulenszene. Doch eigentlich sucht Dürrst nichts weiter als das kleine, unspektakuläre Glück. In seinem zweiten Roman «Dürrst» erzählt der Schweizer Autor Simon Froehling unerschrocken und unverhohlen aus dem Leben eines Suchenden – das überzeugt, findet Tim Felchlin. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König das autofiktionale Buch «Anleitung ein anderer zu werden» von Édouard Louis vor. Darin reflektiert der 30-jährige Franzose wie es ihm gelungen ist, seine Herkunft hinter sich zu lassen. Louis ist unter prekären Verhältnissen aufgewachsen und wurde als Schwuler nicht akzeptiert. Heute ist er studiert, weltberühmt, wohlhabend. Das ist Édouard Louis bestes Buch! – findet eine begeisterte Annette König.   Buchhinweise: * Lukas Maisel. Tanners Erde. 121 Seiten. Rowohlt, 2022. * Simon Froehling. Dürrst. 266 Seiten. Bilger, 2022. * Édouard Louis. Anleitung ein anderer zu werden. 272 Seiten. Aus dem Französischen von von Sonja Finck. Aufbau Verlag, 2022.
9/13/202225 minutes, 47 seconds
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Neue Bücher von Thomas Hürlimann und Hertha Pauli

Mitreissend und tiefgründig: Thomas Hürlimann erzählt in seinem neuen Roman «Der rote Diamant» vom Untergang der katholischen Internatswelt. In ihrem Erinnerungsbuch «Der Riss der Zeit geht durch mein Herz» beschreibt die österreichische Autorin Hertha Pauli ihre Flucht vor den Nationalsozialisten. Im Roman «Der rote Diamant» wird Arthur Goldau von seinen Eltern ins Innerschweizer Kloster-Internat Maria im Schnee geschickt und geht dort als «Zögling 230» auf abenteuerliche Schatzsuche nach dem berühmt-berüchtigten roten Diamanten der untergegangenen K.-u.-k.-Monarchie. Tiefgründig, böse, spannend und komisch zugleich schildert Hürlimann, der selbst Zögling im Kloster Einsiedeln war, den langsamen Untergang der katholischen Internats-Welt und den neuen Wind, der in den 1960-er Jahren durch die Welt weht. Nicola Steiner findet: Ein schillerndes Juwel der zeitgenössischen Literatur! Eine Wiederentdeckung ist Hertha Paulis Erlebnisbericht «Der Riss der Zeit geht durch mein Herz», den Michael Luisier mit in die Sendung bringt. In diesem neu erschienenen Buch erzählt die gestandene Journalistin und Schriftstellerin von ihrer Flucht als junge Frau vor den Nazis, die sie von Wien über Zürich, Paris, Marseille und Lissabon nach New York geführt hat. Dabei begegnet sie anderen prominenten Flüchtlingen wie Joseph Roth, Ödön von Horvath und Franz und Alma Werfel, und sie überlebt wie durch ein Wunder die Hölle von Marseille, das für viele andere Nazi-Gegner zur Falle geworden ist.  Im heutigen Kurztipp stellt Britta Spichiger den Erstling der türkischen Autorin Sedef Ecer vor. Der Roman «All die Frauen, die du warst» erzählt eine Mutter-Tochter-Geschichte, die geprägt ist von politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der Türkei. Fesselnd und dennoch zart beschreibt Ecer eine Suche nach den eigenen Wurzeln und zeigt, wie eng persönliche Schicksale mit der Weltgeschichte verbunden sind.  Buchhinweise: * Thomas Hürlimann. Der rote Diamant. 320 Seiten. S. Fischer, 2022. * Hertha Pauli. Der Riss der Zeit geht durch mein Herz. Erinnerungen. 250 Seiten. Zsolnay, 2022. * Sedef Ecer. All die Frauen, die du warst. Aus dem Türkischen von Sonja Finck. 288 Seiten. Piper, 2022.
9/6/202226 minutes, 33 seconds
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Neue Bücher von Charles Lewinsky, Patrick Modiano und Lauren Groff

Charles Lewinsky ergründet in seinem Roman «Sein Sohn» die edle Herkunft eines Waisenjungen aus dem 18. Jahrhundert. Die US-amerikanische Autorin Lauren Groff erzählt die Geschichte der adligen Marie aus dem 12. Jahrhundert. Und Patrick Modiano führt uns in die Königin aller Städte: nach Paris. Der neue Roman des Schweizer Erfolgsautors Charles Lewinsky erzählt die fesselnde Geschichte eines Waisenjungen mit Namen Louis Chabos. Dieser wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch als Säugling in einem Mailänder Kinderheim abgegeben. Sein Leben wird turbulent verlaufen und je länger je mehr davon bestimmt sein, seine Herkunft zu ergründen. Felix Münger ist beeindruckt von der sprachlichen Wucht, mit der Charles Lewinsky in diesem Werk eine Suche nach der eigenen Identität behandelt, die sich mitten im historischen Milieu einer vergangenen Zeit abspielt. Nicola Steiner empfiehlt den neuen Roman «Matrix» der US-Amerikanerin Lauren Groff. Die Handlung spielt in einem Kloster in England im 12. Jahrhundert und erzählt die Geschichte von Marie, geboren in Frankreich als aussereheliche Tochter des britischen Königs, als Jugendliche von der Königin verschickt in ein fernes Kloster irgendwo auf dem Land, dessen Äbtissin sie wird und dem sie mit ihrer Klugheit, ihrem Ehrgeiz und Willenskraft zu neuem Glanz verhilft. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den neuen Paris-Roman «Unterwegs nach Chevreuse» von Patrick Modiano vor. Eine schwerelose Lektüre, die einem durch das Paris der 1960er Jahren flanieren lässt. Auf den Spuren eines dunklen Geheimnisses! Buchhinweise: * Charles Lewinsky. Sein Sohn. 368 Seiten. Diogenes 2022. * Lauren Groff. Matrix. 320 Seiten. Claassen 2022. * Patrick Modiano. Unterwegs nach Chevreuse. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. 160 Seiten. Hanser 2022.
8/30/202227 minutes, 50 seconds
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Eine tödliche Party, Waldbrände und das Olympia-Attentat 1972 - aktuelle Buchempfehlungen

Die Dänin Tine Høeg erkundet in «Tour de Chambre» schmerzhafte Erinnerungen an eine Party. «Ewig Sommer» der Deutschen Franziska Gänsler ist eine überraschende Mischung zwischen Liebes- und Klimaroman. Und «München 72» rollt die olympischen Spiele auf, die von einer Terrorattacke überschattet waren. Asta, 33, erhält eine Einladung zur Gedenkfeier eines Studienfreundes. Es sind zehn Jahre her, dass August an einer ihrer gemeinsamen wilden Partys im Studentenwohnheim überraschend gestorben ist. Erinnerungen an August werden wach. Vergangenheit und Gegenwart mischen sich. Annette König ist beeindruckt von Tine Høegs sprachlichem Minimalismus und ihrem pointierten, frischen, gegenwärtigen Stil. So gegenwärtig, dass man bei der Lektüre das Gefühl hat, selbst Teil der Romanhandlung zu sein. «Ewig Sommer» – das klingt nach Ferien. Doch an Erholung ist in dieser Geschichte nicht zu denken: Im Wald neben einem einstigen Kurort wüten Brände. Ascheflocken bedecken den Fluss. Die Luft ist giftig. Kein Wunder also, dass Iris Hotel seit Monaten leer steht. Doch dann checkt eine Frau mit ihrem Kind bei ihr ein... Franziska Gänslers Debüt «Ewig Sommer» ist ein Klimaroman und eine zarte Liebesgeschichte. Sehr spannend und beeindruckend bildhaft geschrieben, findet Katja Schönherr. Felix Münger bringt das historische Sachbuch «München 72» in die Runde. Es erzähle packend von den Hintergründen der olympischen Spiele vor 50 Jahren. Die Grossveranstaltung bot der noch jungen Bundesrepublik Deutschland die Chance, sich als fortschrittlich und modern zu zeigen. Dann jedoch verübten palästinensische Terroristen einen Anschlag auf die israelische Mannschaft. Er überschattet bis heute die Erinnerung an die damaligen Spiele. Buchhinweise: * Markus Brauckmann und Gregor Schöllgen. München 72. Ein deutscher Sommer 368 Seiten. DVA, 2022. * Franziska Gänsler. Ewig Sommer. 205 Seiten. Kein & Aber, 2022. * Tine Høeg. Tour de Chambre. Aus dem Dänischen von Gerd Weinreich. 304 Seiten. Droschl, 2022.
8/23/202227 minutes, 29 seconds
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Aktuelle Bücher: Der neue Capus und der neue Camenisch

Gleich zwei bekannte Schweizer Autoren haben Ende Juli einen neuen Roman veröffentlicht. Alex Capus und Arno Camenisch. Beide erzählen von Menschen, die neue, noch nicht ausgetretene Wege gehen. «Susanna» und «Die Welt» liegen heute auf dem Literaturstammtisch. «Susanna» ist der Titel des neusten Romans des Schweizers Alex Capus. Darin schildert der Erfolgsautor sprachgewaltig und atmosphärisch dicht das turbulente Leben der historischen Figur Susanna Faesch. Die Basler Portrait-Malerin wanderte im 19. Jahrhundert in die USA aus und wurde dort zwischenzeitlich eine Verbündete des Indigenen-Häuptlings Sitting Bull. Laut Felix Münger bietet der Roman gute Unterhaltung. Allerdings fehle es ihm etwas an Tiefe. Der Schweizer Autor Arno Camenisch legt mit seinem neuen Roman «Die Welt» wiederum ein sehr persönliches Buch vor. Er erzählt von den vielen Reisen, die er im Alter zwischen 20 und 30 unternommen hat und von der Zeit der frühen Nullerjahre, die für ihn in vielerlei Hinsicht eine Zeit der Umbrüche. Für Simon Leuthold wiederholt sich der Roman zu stark, doch die Betrachtungen über Taxifahrer in Lateinamerika haben ihn beeindruckt. Der US-amerikanische Autor Amor Towles hat eine moderne Huckleberry-Finn-Geschichte geschrieben. In seinem Roman «Lincoln Highway» erzählt er von zwei Brüdern, die 1954 auf dem ersten amerikanischen Highway unterwegs sind. Aber es ist keine Roadnovel im konventionellen Sinn mit verlassenen Tankstellen, einsamen Motels und klassischen Diners. Der Roman lebt von skurrilen Begegnungen und vielen Umwegen. Ein grosses Lesevergnügen für alle, die eine – auch formal – unkonventionelle, bunte, turbulente Geschichte mögen, findet Britta Spichiger, die den Roman als Kurztipp vorstellt. Buchhinweise: Alex Capus. Susanna. Hanser 2022. (Das vom Autor gelesene Hörbuch ist im Hörverlag erschienen.) Arno Camenisch. Die Welt. Diogenes, 2022. Amor Towles. Lincoln Highway. Hanser, 2022.
8/16/202226 minutes, 54 seconds